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Else Lasker-Schüler: Der Malik (1919)

Aktualisiert: 25. März 2021

Inhaltsübersicht

Der Malik (1919) [*]

Anmerkung [*]

[3]

Der Malik

Eine Kaisergeschichte

mit Bildern und Zeichnungen

von der

Else Lasker-Schüler

Verlegt bei Paul Cassirer

Berlin 1919

[5]

Meinem unvergeßlichen Franz Marc

DEM BLAUEN REITER

in Ewigkeit

[Einband:]
Der Malik
[Frontispiz (»Schloss Ried« von Franz Marc):]
Der Malik

[9] Erster Brief.

Mein lieber, lieber, lieber, lieber blauer Reiter Franz Marc.

Du willst wissen, wie ich alles zu Hause angetroffen habe? Durch die Fensterluke kann ich mir aus der Nacht ein schwarz Schäfchen greifen, das der Mond behütet; ich wär dann nicht mehr so allein, hätte etwas zum Spielen. Meine Spelunke ist eigentlich ein kleiner Korridor, eine Allee ohne Bäume. Ungefähr fünfzig Vögel besitz ich, zwar wohnen tun sie draußen, aber morgens sitzen sie alle vor meinem Fenster und warten auf mein täglich Brot. Sag mir mal einer was auf die Vögel, es sind die höchsten Menschen, sie leben zwischen Luft und Gott, wir leben zwischen Erde und Grab. Meine Spelunke ist ein langer, banger Sarg, ich habe jeden Abend ein Grauen, mich in den langen, bangen Sarg niederzulegen. Ich nehme schon seit Wochen Opium, dann werden Ratten Rosen und morgens fliegen die bunten Sonnenfleckchen wie Engelchen in meine Spelunke und tanzen über den Boden, über mein Sterbehemd herüber und färben es bunt; o ich bin lebensmüde. Feige und armselig sind die Kameraden, kein Fest, keine Schellen. Alle meine Girlanden hängen zerrissen von meinem Herzen herab. Ich bin allein auf der Welt lebendig, auf der Hochzeit des leichtlebigen Monats mit der Blume, und ich werde täglich allein begraben und ich weine und lache dazu – denn meine Traurigkeit ist weißer Burgunder, mein Frohsein roter Süßwein. Wenn man die Augen zumacht, weiß man nicht, ob man froh oder traurig ist, da irrt sich der beste Weinkenner. In der Nacht spiele ich mit mir Liebste und Liebster; eigentlich sind wir zwei Jungens. Das ist das keuscheste Liebesspiel auf der Welt; kein Hinweis auf den Unterschied, Liebe ohne Ziel und Zweck, holde Unzucht. Die vergilbte Photographie über meinem Bett grinst dann, sie weiß, daß ich wirklich einmal einen Liebsten hatte, der mit mir Katz und Maus spielte. Einmal aber schenkte er mir eine kleine Krone aus Elfenbein und Tribut für meine Stadt Theben: fünf blanke Markstücke in einem Kästchen auf hellblauer Watte. Ich habe nun keine Stadt mehr, ich will auch nicht mehr Kaiser werden, [10] es gibt keinen Menschen, über den ich regieren möchte, keinen Menschen, den ich zur Krönungsfeier einladen mag. Ich weine auch nicht mehr, damit das kichernde Hurenmonstrum über meinem Bett nicht mehr mitleidig sein kann. Ich wär der arme Heinrich – sie meint nicht den König Heinrich, aber ihren versoffenen Stiefbruder, der jedes Jahr die Krätze bekommt. Mir fehlt was anders; einer meiner Freunde lauert schon immer auf meine Leiche – meinen Nachlaß zu ordnen. Er grrratuliert sich schon den ganzen Tag und zur Übung geht er auf alle Geburtstage und gratuliert den Sonntagskindern. Morgen hab ich Geburtstag; die Tante Amalie im Krinolin im Rahmen über meinem Bett stopft mir meine Strümpfe und gibt mir einen heimlichen Rat – wie ich die Miete ihrer Nichte nicht bezahlen brauch. Die tut immer so aufgeblasen und kassiert dazu ein. Wenn sie naht, flattere ich von einer Ecke in die andere wie ein halberstarrter Nachtfalter – bis sie mich einfängt ... Früher war ich in meinen Träumen bei meinem Oheim in Vampur und trug einen Palmenzweig in der Hand. Auch besaß ich viele, viele Feierkleider, die trägt jetzt meine Wirtin immer; wenn ich keine Miete hatte, nahm sie sich eins dafür; die hängen nun in ihrem Schrank und sind alle grau geworden. Aber ich muß ihr dankbar sein, denn sie will mir einen Kuchen backen und einen Spruch für meine Spelunke schenken unter Glas, damit ich zufriedener werde. Und dabei bin ich viel zufriedener als früher, ich sehne mich wenigstens jetzt manchmal, wenn auch nur – nach einem – bösen – Menschen. Mein Liebster hat mich nie etwas gefragt, weil meine Lippen so gern tanzen wollten. Aber viel gehen mußte ich, weil ich so schwer vorwärts kam und wäre doch so gern einmal gefahren mit dem Auto oder in einer Sänfte. Ich kannte aber vor ihm noch einen böseren Menschen, der ließ mich immer barfuß über Nägel gehen; seitdem hängen viele Narben unter den Sohlen, die tun weh. Ich kann noch so manche traurige Geschichte erzählen (die Tante im Rahmen summt aber immer dazu ihr Lieblingslied: »Amalie was hat man dir gepufft!«). Hör nur die Geschichte von dem kleinen Knaben, der am fremden Tisch [11] saß und sich nicht laut freuen durfte über die süßen Speisen. Oder die Geschichte von einem anderen fremden Kind – das von der Stiefmutter spazieren geführt wurde, ihr eigenes Kind aber unter dem Herzen trug. Lieber, lieber, lieber, lieber, blauer Reiter – Amen.

Zweiter Brief.

Lieber, blauer Reiter, ich soll keinen so traurigen Brief mehr schreiben – wie sollt’ ich es auch nur können, da die Sonne so lieblich und aufmunternd scheint und ich gehe doch mit dem Wetter parallel; auch liegt in allen Buchhandlungen mein neuestes Buch aus. Mein Herz glitzert; denn ich lächle wie Schimmer über meine eigene Winteridylle, bin sogar stellenweise grün gestimmt mit rosaroten Pfingstrosen. Dazu nehme ich seit einigen Tagen Neura-Lezithin, Ersatz fürs Gehirn (echt nur mit dem Rhinozeroskopf im Ring), immer trage ich davon bei mir und wenn ich stocke in der Unterhaltung, antwortet der Rhinozerosgehirnsauerstoff geradezu erstaunlich vernünftig, fast unangenehm intelligent – kein Mensch glaubt mehr, daß ich eine Dichterin bin und die Redaktionen geben mir Aufträge. Und Herr X. wird nicht mehr schreiben können, ich kreische hysterisch im Kaffee; zwar wisse er das vom Hörenhören. Ich gab ihm einen Rippenstoß, seitdem sind alle Teufel los, sie machen mir viel Freude, die Schäfchen auf der Heide. Wäre ich doch eine Drehorgel und mich drehe ein Krüppel, ihm wüchsen vor Tanzlust die Beine wieder an. Und Tummelskopf möchte ich schlagen, blauer Franz, weil wir »Du« sagen und weiß nicht, was ich noch alles tun möcht’, wenn morgens Deine wunderherrlichen Postkarten ankommen!! Großkatzen sind die souveränen Bestien. Der Panther ist eine wilde Enziane, der Löwe ein gefährlicher Rittersporn, die Tigerin eine wütende, gelbschimmernde Ahornin. Aber Deine glückseligen, blauen Pferde sind lauter wiehernde Erzengel und galoppieren alle ins Paradies hinein, und Deine heiligen, geheiligten Lamas und Hirschkühe und – und Kälber – sie ruhen in geweihten [12] Hainen. Viele Deiner Priestertiere riechen nach Milch. Du ziehst sie selbst im Rahmen groß. Ehrwürdiger, blauer Großgeistlicher!

Dritter Brief.

Mein sehr geliebter Halbbruder. Es ist kein Zweifel, Du warst Ruben und ich war Joseph, Dein Halbbruder zu Kanazeiten. Nun träumen wir nur noch Träume, die biblisch sind. Manchmal narrt mich so ein Traum, wie heute Nacht. O, ich hatte einen boshaften Traum; allerdings mein sehnlichster Wunsch erfüllte sich – ich war plötzlich König, in Theben – trug einen goldenen Mantel, einen Stern in Falten um meine Schulter gelegt, auf dem Kopf die Krone des Malik. Ich war Malik. Als unsere Muselkinder wie kleine Kamelkälber meinem großen Prachtkamel nachtrabten, und dazu kreischten in allerlei verzwickten Quietschtönen (es war eigentlich zum Totlachen)! »Rex–Klecks, Rex–Klecks, Rex–Klecks! Klecks!!!« Wenn ich daran denke! Ich bin überhaupt heute etwas unglücklich – ich weiß niemand, wodrin ich mich verlieben könnte. Weißt Du jemand? Dein verraten und verkaufter Jussuf.

Vierter Brief.

Mein blauer Reiter, ich möchte eine Brücke finden, darüber eine Seele zu meiner käme, so ganz unverhofft. Eine Seele so ganz allein ist doch was Schreckliches!!! O, ich könnte direkt meine Seele (meinetwegen) mit Syndetikon an eine zweite kleben. Syndetikon klebt auch Glas und Gold. Wenn doch jemand seine Lieblingsblume neben meinem Herzen pflanzen würde, oder einen Stern gießen würde in mein Herz oder – mich ein weltentrückter Blick träfe –. Sei nicht bös, blauer Reiter, daß ich wieder sentimental werde, ich brauch’ mir ja jetzt nur Deine Karte ansehn mit dem Spielpferdchen; genau so eins wie dieses steht noch auf dem Krimskramsboden oben in meinem Palast in Theben: Aus drolliger Spielfarbe, aus Herzkarminrot.

Aber ich habe nun auch eine Karte gezeichnet. Dich und Deine [13] Mareia. Denk mal, Du bist ja selbst ein Pferd, ein braunes, mit langen Nüstern und Tränenrinnen, ein edles Pferd mit stolzem, gelassenen Kopfnicken, und Deine Mareia ist eine goldgelbe Löwin. Dein lieber Jussuf.

Fünfter Brief.

Blauer Reitersreiter. Die Redaktion: Sturm hat sich eine Filiale angeschafft von meinen Gedichten; Isidor Quanter oder Quantum liefert erstaunliche Nachahmungen. Wie kommt so was? [14] Ich, die gar nichts von einer Lehrerin an mir habe, mache Schule. Mir graut davor! Außerdem hat die Jury der Ausstellung: Sturm, dieses Porträt abgewiesen, das seine vier Vorsitzenden in einem Trauakt darstellt. – O, blauer Reiter, wie die Liebe herabwürdigt, wie die Liebe herabgewürdigt wird, wie die Liebe sich besaufen kann!! Ich bin doch auf die Idee gekommen, daß nur bedeutendes Blut sich vermischen darf mit Wein, mit Rausch, mit der Liebe. Nun ist es Nacht – überall – o, wir, wir wollen, Du, Mareia und ich, furchtbar zärtlich miteinander sein ... Wir haben nicht verlernt, unsere Haut herabzureißen wie ein Feierkleid. Was ist denn noch anders los als wie die Liebe; blauer Reiter, können wir von anderem leben wie von der Liebe, von Blut und Seele – ich will lieber ein Menschenfresser werden, als Nüchternheit wiederkauen.

Der Malik
[13 (»Vereint!«)]

Sechster Brief.

Blauer Reiter, ich bin alleine fromm in der fremden Stadt. Kein Mensch kommt hier in den Himmel. Bitte gehe einmal über den Kurfürstendamm, bieg in die Tauentzienstraße ein, kannst’ Du Dir vorstellen, daß ein Dirbegegnender in den Himmel kommt? Sag’ mir, blauer Reiter, komm ich in den Himmel?

Du, ich möcht’ Dir noch privatim was erzählen, aber sag es niemand wieder, auch Mareien nicht. Ich hab mich doch wirklich wieder verliebt. Wenn ich mich tausendmal verliebte, ist es immer ein neues Wunder; eine alte Natur der Sache, wenn sich ein anderer verliebt. Du, er hatte gestern Geburtstag. Ich schickte ihm eine Schachtel voll Geschenke. Er heißt Giselheer. Sein Gehirn ist ein Leuchtturm. Er ist aus den Nibelungen. Meine Stadt Theben ist nicht erbaut davon. Meine Stadt Theben ist ein ehrwürdiger hoher Priester. Meine Stadt Theben ist die Knospe Zebaoths. Meine Stadt Theben ist mein Ur-Urgroßvater. Meine Stadt Theben begleitet mich bei jedem Schritt. Meine Stadt Theben ist ein hochmütiger Scheitan. – Ich schickte dem ungläubigen Ritter lauter Spielsachen, als ob er mein [15] Brüderchen sei – weil er ein rot Kinderherz hat, weil er so ein Barbar ist, weil er noch ein heimatliches Spielzimmer haben möchte: einen Gralsoldaten aus Holz, eine Schokoladentrompete, eine Spielfahne meiner Stadt Theben, einen Becher, einen silbernen Federhalter, zwei Seidentücher, ein Petschaft aus Achat und viel, viel Siegellack. Ich schrieb dazu: Lieber König Giselheer, ich wollte, Du wärst aus Kristall, dann möchte ich Deine Eidechse sein, oder Dein Seestern, oder Deine Koralle oder Deine fleischfressende Blume.

Siebenter Brief.

Mein lieber, blauer Reiter.

Du freust Dich über meine »neue Liebe« – Du sagst das so leicht hin und ahnst nicht, daß Du eher mit mir weinen müßtest – denn – sie ist schon verloschen in seinem Herzen, wie ein bengalisches Feuer, ein brennendes Rad – es fuhr mal eben über mich. Ich erliege ohne Groll dieser schweren Brandwunde. Könnte ich mich doch in mich verlieben, ich liege mir doch so nah – man weiß dann, was man hat. Wie soll ich mich zerstreuen? Ich werde eine Zeitschrift gründen, die wilden Juden; eine kunstpolitische Zeitschrift und ich schreib’ an Karl Kraus einen Brief, ungefähr so, hör’: Lieber, verehrter, österreichischer Kardinal, ich bin wieder in Berlin, wo ich hingehör’, ich setze mich immer wieder dorthin. Unbegreiflich! Von hier aus reist man in Gedanken oft nach anderen Städten, hier will man wenigstens fort; wo anders aber findet man Pendants, ich meine ähnliche Menschen, wie man selbst ist, wenn auch verkitschte im prunkenden Rahmen. Ich bin lebensmüde und will abenteuerlich sterben. Ich habe alles satt, selbst das Laub an den Bäumen. Immer grün und immer grün. Wenn mir doch einmal zaubernde Menschen begegneten, ich meine solche, die große Wünsche hätten, aber sie sind alle ernsthaft, nur ich bin ernst. Ich bin so einsam – wer mich lange ansieht, fällt in einen dunklen – Himmel. – Sie sind glücklich, Kardinal; alle Menschen mit blauen Augen sind glücklicher als die, welche [16] unbegreiflich in sich sehen wie durch schwarz Seidenpapier. Ich wollt’, jemand schenkte mir einen Stern, mit dem ich mich ab und zu sichtbar machen könnte. Ich bin ruhlos aus banger Langeweile geworden; was ich tue, wird zur Eigenschaft und gähnt. Sie verstehen mich und darum richte ich an Sie diesen Brief; vielleicht den letzten Brief, den ich überhaupt schreibe, mein endgültiges Abenteuer. Ich liebe keinen Menschen mehr auf der Welt, ich will auch von denen nichts wissen, die mir guttaten. Böstaten stacheln wenigstens an. Also wenn Sie mir meinen Wunsch nicht erfüllten, würde ich Ihnen im Grunde dankbarer sein; wohlwissend – Sie verschmähen die Dankbarkeit. Früher war ich Schauspielerin; nun sitz’ ich in der Garderobe und verbrenne den Zuschauern die Mäntel und Strohhüte. Ich bin eben enttäuscht. Ich habe immer nach der Hand gesucht, und was lag in meiner Hand – wenn’s gut ging – ein Handschuh. Mein Gesicht ist nun wie Stein, ich habe Mühe, es zu bewegen. Soll man stolz darauf sein; es braucht einem kein Denkmal mehr gesetzt werden. Wenn ich wenigstens an Festtagen geschmückt würde. Je mehr Angst ich habe, desto enormer wächst meine Furchtlosigkeit. Aber Angst habe ich immer; wo flattert ein Vogel in mir, kann nicht mehr aufsteigen. Wenn ich tot bin, wird eine Dame ihn am Hut tragen. Das tiefste und das schiefste Vermächtnis, das jemand hinterließ. Oder wollen Sie ihn haben im Glaskasten über Ihrem Schreibtisch? Vielleicht fängt er morgens zu singen an. Auf dies Lied wartete ich ein Leben lang. Also endlich mit der Sprache heraus, heil Dir im Siegerkranz – ich hatt’ einen Kameraden – nun das österreichische Nationallied; den Marsch der Schellen und Dudelsäcke zu Theben – wollen Sie mein Journal, die wilden Juden, so unter der Hand mitdrucken lassen; die Fackel merkt’s gar nicht und ich habe eine Existenz. Ihr

Sie bewundernder Jussuf, Prinz.

Meinst Du, er tät’s, Franzlaff?

Der Malik
[nach S. 16 (»Jussufs Mutter«)]

[17] Achter Brief.

Mein einziger Bruder.

Ich dachte mit Entzücken an Dich gestern und heute und schon den ganzen Tag. Die Zigeunerpferde, die Du meinem Kinde maltest, hat es mir zum Aufbewahren gegeben, und ich stellte die kostbare Karte neben das Bildnis des Königs von Montenegro; in seinem Stall sollen auch ein blaues, ein lila und ein brandrotes Pferd für zum so »Indiewelthinausreiten« sein. Unter seinen schwarzen Hämmeln ist ein grünes; Du Franz mal’ mir einen grünen Hammel. So was Ausgefallenes gibt es gar nicht mehr, außer ich.

Botschaft: Grüße Deinen neuen Gaul, nenne ihn Saul.

Neunter Brief.

Lieber Ruben aus der Bibel. Du meinst, meine tollen Briefe klängen etwas nach Galgenhumor. Giselheer meinte auch immer, ich könnte nicht so ganz traurig sein?! Wie schön war es, als wir am Gibon lebten, da war ich noch konzentriert und einfältig – Du holtest mich oft aus der Grube: um mein Herz lag ein Blutkranz. Der ist noch nicht verblüht. Ich bin immer schwermütig, keine Landschaft kann mich trösten, aber über die Linien einer Hand möchte ich wandeln, jede ihrer Wege müsse zum Himmel führen, hunderttausendmal würde ich entschlummern in einer solchen Hand. Kennst Du so eine ewige Hand? Deine ... Dein frommer Bruder Jussuf.

Zehnter Brief.

Lieber blauer Reiter. Ich denke jetzt nur noch an Euch und an mein Zimmer. Das weint, wenn ich abends ausgehen will, durch die Straßen willenlos irren muß. Ich übe mich in den Waffen, die überall bei mir an den Wänden hängen. Also ich versäum’ nix, wenn ich zu Haus bleib’ (so lang es dauert?). Ich [18] denk’ manches, matchiche pfeif’ ich, Matche wett’ ich; bin mit einem Wort ansässig geworden in meines Zimmers Ägypten, und warte auf das Kornfeld meiner flachen Hand. Zieht doch zu mir! Jussuf.

Elfter Brief.

Allieber. Ich bin hier in Berlin der einzige vorsintflutliche Jude noch; mein Skelett fand man neben einem versteinerten Ichtiosaurusohr und einem Skarabäus in einer Felsspalte vor, für die Nachwelt. Ich hab’ Geld nötig, ich wart’ den ganzen Tag auf die Nachwelt. Dein Mammut.

Zwölfter Brief.

Mein guter Halbbruder, ich schenk’ Dir Südgrönland zu Deinem Geburtstag. Denn, wenn ich so recht an Euch denke, ist Dein braunes Haar nur die Nacht zu Deines Weibes Blond. Herrlich bist Du zu schauen und Deine Mareia, trägt sie den pelzverbrämten Hut, seid Ihr beide von Kana ins Eis versetzt. Aber Kana war doch überwältigend, ich habe meine neue Stadt Theben ganz in ihrer Bauart errichtet. Ich habe immer vier Dinge im Leben geliebt, den Mond, den Kometen, Rosengärten und bunte Brunnen. Die dunklen Arbeiter sprachen, als sie das Fundament zu meiner Stadt legten, immerzu von diesen meinen vier Süßigkeiten.

Dreizehnter Brief.

Lieber blauer Reiter. Du meinst noch immer meine Lustigkeit sei eine erzwungene? Nicht doch, ich laß mich nur ungehindert strömen, frisch regnen, wilder Niederfall, Hagel und Schnee, ich bin gar kein Mensch, ich bin Wetter. Aber mein Herz tut mir weh, es ist rotgestreift, blutende Tigerhaut. Wer wühlt noch in meinen Wunden? Viel Leid macht Tiger. Und arm bin ich geworden, da ich ihn verlor. Ich starb an ihm, sterben ist verarmen vor Gott, sich ganz ausgeben vor Gott. Besitz kann der Himmel nicht gebrauchen, nicht eine Pore; wie würde er einem so leicht werden! Aber die Hölle tut weh, die Sünde ist fleischig und setzt [19] sich fest an die Seele. Ich habe ihn fromm geliebt. Immer trug ich seine Augen im Ring, böse, verschleierte Steine; meine Gebärden wurden hart. Als ich ihn sah, bin ich zum erstenmal aus meinem Relief hervorgetreten; ich war hochmütig, ich hab’ mich nie vor der Welt enthüllt. Nun lieg’ ich wie geboren von einer Magd zum Verkauf auf dem Markt. Dein Tiger, Dein Bruder und König in Theben.

Vierzehnter Brief.

Sieh nur, lieber, blauer Franz, ich hab unseren famosen Rechtsanwalt Caro gezeichnet. Den Ehescheidungsparagraphen trägt er auf der Wange und heitert uns mit seinem Maigesange. Er sitzt zwischen uns im Café und singt von der Liebe. Mit wertvollen [20] Menschen soll man nur von der Liebe reden, damit das Gespräch nicht zum Fleißknäuel wird. Ich spreche nur noch von der Liebe, die meisten Engel aber sind zum Zynismus übergetreten. So wahr ich der Prinz bin, lieber Halbbruder, es gibt niemand in der Stadt hier, der mit mir über die Liebe reden kann. Ich küsse Dich, Deine Hand.

Der Malik
[19 (»Rechtsanwalt Caro | ›Und laßt uns wieder von der Liebe reden‹! ....«)]

Fünfzehnter Brief.

Franz, Du! Gestern hatte ich eine große Freude, der Zyklop Dr. Gottfried Benn hat mir seine neuen Verse: Söhne, gewidmet, die sind mondrot, erdhart, wilder Dämmer, Gehämmer im Blut. Jussuf.

Sechzehnter Brief.

Lieber Ruben. Ich merke, Du hast mich bei der Treue ertappt! Seit ich Giselheer verlor, kann ich nicht mehr weinen und nicht mehr lachen. Er hat ein Loch in mein Herz gebohrt. Das blutet nicht, das steht offen wie der Grund eines ausgelaufenen Auges. Ich schrieb ihm: »Gisel, König, ich weiß nicht, ob ich schlafe oder wache, ich glaub’, ich weiß gar nichts mehr.« Wenn er mich so sähe, er würde mich lieben, er mag alles, was tot ist, was er wegschaffen kann. So ein Barbar! Ich war der jähe Hügel der Weinreben, pochende Beeren trug ich im Haar, wenn er sich die Eber briet gar, gaukelte ich über sein Leben. Du lieber, blauer Reiter, ich schrieb Dir darum eine ganze Woche nicht, ich war krank. Den Doktor Benn rief ich, der meinte, das Loch in meinem Herzen könnte man mit einem einzigen Faden zunähen. Ich vertraute ihm die Geschichte meiner Liebe an, zeigte ihm Giselheers Briefe und sagte ihm alles. Er behauptet, ich habe meine Welt in G. hineingelegt, und der habe keine Ahnung von mir. Wenn ich daran denke, wie G. einen Strich zog unter meinem Mantel wie unter die Lackschuhe einer Puppe – Wenn das je meine Stadt erführe, meine verehrten Häuptlinge und mein glaubseliges Volk erst, – nie würde ich Kaiser werden. Hätte [21] ich nur meine Geschenke wieder, die ich »Ihm« sandte: meine Mondsichel, den Rosenkometen, meinen lila Brunnen und meine silberne Levkoie. »Er« schenkte mir eine Enttäuschung. Ich bin morgens bleich, um Mittag schluchze ich, aber am Abend lodere ich in allen düsteren Farben. Ich habe dem Doktor Benn ehrenwörtlich versprochen, nicht mehr an den armen König zu denken, der noch nicht einmal ein Herz besitzt zum Verschwenden.

Dein treuer Bruder.

Siebzehnter Brief.

Franz, ich war gestern im Synagogentempel, aber ich wandelte bald wieder heim. Man sollte nicht länger im Gottespalast bleiben, wie das Gebet des Herzens dauert. Ich liebe den Versöhnungstag, mich dünkt, ihn feierten schon die ersten Könige der Juden. Das Blut braucht keinen Trank an diesem Tag, es rauscht zu Gott. Mein Vater feierte und fastete das ausbleibende Mahl, er war der wilden Juden Tyll Eulenspiegel und sein Gebet zu der Hochzeit mit Gott riß sich von seinen Lippen los wie ein Trinkspruch. Er hatte nie an den Wassern zu Babel gesessen und geklagt, er war nie durch den Trauerregen der Straßen des Ghettos gebeugt geschlichen. Alles war hell in ihm und sprudel. Die Stadt gehörte ihm und jedes Haus, und jeder Mensch und jedes Vermögen zum Verschenken. Und er baute Türme, die bedrohten alle Dächer, wenn der Sturm kam. Die Uhr mochte er nicht, da sie die Zeit kontrollierte. Sein Motiv war sein ganzes Lebelang die Großschauergeschichte seines Großvaters, der Oberpriester war. Der saß am Abend des Versöhnungstages an der Tafel und speiste, um ihn seine dreiundzwanzig Söhne und deren unzählige Söhne und Töchter und Enkel und mein Vater, der der jüngste der zwölf Brüder des dreiundzwanzigsten Sohnes meines Urgroßvaters war. Als es leise an das Tor seines Hauses klopfte, da erhob sich Babel, der älteste Sohn meines Urgroßvaters, aber er brachte den späten Gast nicht, der Einlaß begehrte. Und erhoben sich hintereinander [22] die dreiundzwanzig Söhne meines Urgroßvaters und die zwölf Söhne seines jüngsten Lieblingssohnes, mein Vater bewaffnet mit seiner Gabel und alle die anderen Enkel und Enkelinnen und alle die Knechte und Mägde und seine Hunde, und der graue Esel kam aus dem Stall, und meines Vaters rote Katze, die für ihn alles ausfressen mußte, und die zehn Ärmsten der Armen der Gemeinde, die am Abend des Festes an der Tafel ihres hohen Priesters speisten. Und mein Urgroßvater erhob sich selbst, aber sie fanden den Gast nicht, der die Feier des Festes störte. Und mein Urgroßvater ließ sich seine Füße waschen und eilte mit seinen Kindern und Kindeskindern und Kindeskindeskindeskindern und seinem ganzen Hausstand und den auserlesenen Armen – auf den Friedhof; dort lag sein innigster Gefährte von den Christen ausgegraben, seinem letzten Hemde entblößt, die Augen aufgetan, wie er sie öffnete im Leben, wenn sein geweihter Freund ihn besuchte.

Dein tiefbewegter Jussuf.

Achtzehnter Brief.

Du goldblauer Reiter. Ich soll Dir auch von meiner Mutter erzählen. Sie ging immer verschleiert; niemand war ihrer Schönheit und Hoheit wert. Aber Dir will ich von ihr erzählen, bis sich mein Herz über ihr Angedenken schließt. Mein Herz blüht auf, wenn ich an meine Mutter denke. Ich habe kein Geheimnis vor ihr, sie nahm mich mit sich von der Erde fort, sie blieb in meinem Herzen hier auf der Welt; ich bin Leben und Grab; darum wechselt meine Stimmung vom Traurigsten bis zum Jubel so unvermutet oft.

Dein einsamer Jussuf.

Neunzehnter Brief.

Mein Halbbruder, Dein neues Bild, die alte Stadt Theben, steht in dem Vorraum Meines Palastes zum Anschaun für Mein ganzes Volk. Des Bildes Farben beleuchteten die abendliche Stadt, als Meine Somalis es durch die Straßen trugen. Morgen [23] feiern wir Dein Fest, den Tag des blauen Reiters; prunkvolle Teppiche hängen schon von den Dächern herab, und die Plätze sind mit Rosenblättern bestreut.

Mein lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber, lieber Bruder, ich weiß heut’ nichts anderes zu schreiben.

Dein treuer Jussuf.

Der Malik
[23 (»Peter Baum – dichtend.«)]

Zwanzigster Brief.

Franz. Ich sende Dir für Dein Museum wieder zwei abendländische Dichter, den Peter Baum, und den zweiten, den Albert Ehrenstein, der den Tubutsch schrieb. Ich grüße Dich.

Jussuf.

Der Malik
[24 (»Tubutsch | (Dr. Albert Ehrenstein)«)]

[24] Einundzwanzigster Brief.

Ruben, erfreute Dich Mein liebender Brief? Dir zu huldigen, soll der Juwel Meines Lebens sein, und Ich ziehe in den Krieg gegen eines der wilden Stämme, werde Selbst Mein Heer anführen, in der vordersten Reihe kämpfen; man erschlafft – ich will wieder Ehrfurcht vor Mir bekommen. Gedenke Meiner! Unser Blut steht gleich hoch im Stern. Marei gib meine Liebe.

Dein Krieger.

Zweiundzwanzigster Brief.

Mein lieber blauer Reiter.

Gestern hielt der Kampf an bis in die Nacht. Drei gefangene Menschenfresser spielen nun mit meinen Soldaten Würfel und sehnen sich nach ihrem jungen Fleisch. Ich habe offen gestanden [25] Mitleid mit ihnen und beschenke sie mit allerlei Waffenzeug, Perlengurten und glitzernden Steinen. Dem Herausfordernsten steckte ich einen Meiner funkelnden Ringe an den Finger. Diese Menschen sind anspruchsvoller wie wir; wir begnügen uns mit Hasenfleisch und Lämmerkeulen, die aber hungern namentlich nach Meinem Herzen, Mein Herz in ihrer Bouillon zu kochen. Du würdest die drei Gourmées sofort malen, grün, gelb und lila. Du würdest sie verklären, frommer Halbbruder, sie fräßen dann nur noch Engel. Ich scherze und tauche den Schreibstift in Blut. Ich kämpfte wie im Gemälde; Meine Lippen sind noch schwarz vor Blutdunst. Ich lag dann den Rest der Nacht wach mitten unter Meinen schnarchenden, tapferen Soldaten; nur Mein Somali Oßman starrte geradeaus in mein Gesicht, das dichtete Rosen nach all dem Kriegsgräuel. Dein Jussuf.

Dreiundzwanzigster Brief.

Ruben, ich bin mitten in der Schlacht. Ruben, denke an mich; o liebe mich, daß ich nicht einsam bin.

Vierundzwanzigster Brief.

Du, die Soldaten sind begeistert, wir nahmen Irsahab ein, die Goldstadt. Ich gab am selben Abend ein Fest, auf dem mußten sich meine Soldaten duzen mit den Einwohnern. Sie tanzen nun durch die Straßen und bringen mir Fackelzüge. Wer sich der Freimut meiner Befehle widersetzt, wird aufgespießt. Über uns geht ein neues Sternbild auf; es soll Ruben benamet werden. Dein beseligter Prinz.

Botschaft: Wenn der Mond rund ist, ziehen wir weiter nach Osten. Ich bin leicht an der Schläfe verwundet. Jussuf.

Fünfundzwanzigster Brief.

O Ruben, ich liebe nur noch die Schlacht, die Kriegsdudelsäcke, Kokostrommeln, meine Krieger und mich im Schlachtschmuck. [26] Ich kannte im Leben nur einen Neid – wenn Soldaten vorbeimarschierten, die Mir nicht gehörten. Dein Bruder.

Sechsundzwanzigster Brief.

Denke Dir, in meinem Heer herrscht Schreck und Verrat; ein unzufriedener Soldat hat sich nachts in mein Zelt geschlichen und mir meuchlings diesen Brief entwendet, den ich auf meiner Brust seit meiner Kindheit trage: Lieber kleiner Gisel. Wir sitzen beide auf dem Spielboden im alten Palast in Theben und spielen zusammen mit Gerümpel, Holzbeinen und Wedeln der zertrümmerten Schaukelpferde. Verstaubte Fez und zerrissene Turbane und lauter Libanonhölzer liegen kreuz und quer überall bis zum Ausgang. Wir rennen uns nach über die Wendeltreppe, die kracht schon, morsch sind ihre Stufen und wackeln wie alte Zähne der Eunuchen. Du bist das Liebste, das ich kenne, Du bist aus lauter Honig; wenn nur kein Bär kommt und Dich aufleckt. Ich bin auch noch ganz klein, ich spiele immer verstecken mit meinen Händen oder schimmern mit den Fingern in der Sonne. Du haust immer, aber meistens sind wir zwei Igel und kugeln über die rissigen Steine – oder zwei Regenwürmer, wenn wir Stimmen hören und kriechen in einen Winkel. Du hast Augen gelb wie die Sonne, wer bist Du eigentlich? Und Zucker hast Du immer im Mund; einmal wolltest Du mir einen Deiner Zähne schenken zu meinem Geburtstag, aber der Barbier lachte Dich aus. Weißt Du’s noch? Ich hätte ihn an einer Kette um den Hals getragen. O, ich möchte auch so helle Haare haben wie Du, so nichtsnutzige, nichtgläubige Augenwimpern wie Du, o, ich möchte auch eine Grube im Kinn haben wie Du – und auch mal in Deine Heimat fahren, wo der Schnee wächst; o, du lieber Giselfendi – Dein Memedjussuf.

Siebenundzwanzigster Brief.

Ruben, Ich hab’ Mich lächerlich gemacht unter Meinen Soldaten, wenn sie auch nicht wagen, nur eine Miene in Meiner Gegenwart [27] zu verziehen; ich habe Mich verraten; glaube manchmal die Hunde knurren zu hören: Ich sei kein treuer Thebetaner und bevorzuge alle Nichtgläubige und liebe den Erdteil im Norden. Oßman, Mein treuer Neger, bedeckt mich nachts mit seinen Kleidern, er fürchtet einen Überfall. Ich soll Kaiser werden. Mein Volk will Ehrfurcht vor Mir haben; denn solchen Liebesspielereien sind selbst die Leute aus Theben nicht gewachsen. Dein armer Spielprinz.

Achtundzwanzigster Brief.

Mein Halbbruder. Ich warf den Speer und fing des Feindes Waffe auf mit entblößter Brust. Wir bekriegten uns wie wahnsinnige Bestien. Ich führte meine Soldaten durch den Fluß Pison; die Wälder jenseits des Stroms sind blau und die Tiere im Dickicht sind zahm. Ich bringe Dir zwei lebendige Leoparden mit, die Dich und Dein Weib Mareia bewachen sollen. Wir durchschritten die Schluchten und Höhlen der Gebirge Gibon und nahmen die wilden Bergbewohner gefangen; die zeigten uns die Pfade durch die Landschaft Eden in die Ebene zurück. Wir bringen viel fremde Kräuter mit und harte Steine und Heldenherzen. Erschrick nicht, ich komme als Kaiser heim. Bis zum Lichtwerden schrieen meine Krieger und die gefangenen Feinde, mit denen meine Soldaten ihre Kleider teilten, durch die Straßen meiner neuen Hauptstadt Mareia: Es lebe unser großer Abigail der Erste!

Neunundzwanzigster Brief.

Mein Ruben. Alle Liebe, alle Spielerei ist in Mir versunken. Oßman, Mein Neger, hat Meine schweren Tränen fallen sehen. Kaiser sein – heißt atmendes Denkmal sein; unter ihm liegt des Kaisers Persönlichkeit begraben. Ich bin zum Anschaun, Ich bin zum Geschmücktwerden mitten in anderer Leben; das Meine hab’ ich dafür gegeben. (Aber so lang es dauern wird?!)

Abigail Jussuf Basileus.

[28] Dreißigster Brief.

Ruben, mein Halbbruder.

Ich sitze fast den ganzen Tag auf dem Dach des Palastes. Mein Volk will immer seinen Kaiser sehn. Mein Volk blickt aus einem Aug zu Mir empor, ruft nach Mir aus einem Mund. Ich habe nicht das Recht, Mich in Meine Gemächer zurückzuziehn, da Mein Volk nach Mir hungert. Meine Verantwortung wuchs über Nacht vom Prinzsein zum Kaisertum grenzenlos. Dein Jussuf.

Einunddreißigster Brief.

Mein fürstlicher Bruder. Du fürchtest, Ich erkranke von der vielen neuen Arbeit der Staatsgeschäfte und entziehe Mich der Rast. Wenn Ich erst krank bin, vermindert sich Mein Interesse an Mir, aber nun durch die neue Kaisersonne betrachte Ich die Erhaltung meiner jungerwärmten Kräfte als Mir anvertrautes Reichsgut. Ich will Dirs allein gestehn, Ich freue Mich darüber, wenn Mein Volk sich vor Meinem Palast aufpflanzt. Die Stadt schenkte Mir eine Leibwache von hundert Soldaten, die tragen blaue Perlengurte um die Lenden und verstehen wie die wilden Stämme den Bumerang zu werfen. Sie standen zu Meiner rechten und zu Meiner linken Seite bei der ersten Kaisertafel, Ich saß auf einem goldenen Tafelthron, den Mir ein reicher Muskatplantagenbesitzer bei Theben schenken durfte. Höre, Ruben, noch eine Albernheit – Ich dichtete während der Speisengänge ein Liebesgedicht. – Ruben, höre, noch eine Unbesonnenheit. Ich habe Mich mit Meiner ganzen Leibwache geduzt. Dein taumelnder Kaiser und Bruder.

Botschaft: Meine Krönungsfeier findet am dritten Muharam, drei Tage nach der Broternte statt. Dich und Dein Weib Mareia erwarte Ich. Abigail Jussuf.

[29] Zweiunddreißigster Brief.

Ruben, ich versammelte alle Kinder der Stadt um Mich in Meinem Palast. Mein Neger Oßman brachte Mir jedes einzelne herbei auf seinem blanken Rücken.

Ich trug einen langen Mantel voll Sterne und viel, viel Zacken um den Kopf und beschenkte die Kinder mit Spielzeug und Leckereien. Und jedes durfte sich zu seinem Namen noch einen wählen. Fast alle wollten sie Ruben heißen nach Dir, mein teurer Bruder, ich weine noch vor Ergriffenheit. Manche nur wünschten sich Abigail zu nennen, da ihnen der Name noch zu neu klang und sie nicht wußten, wie sie ihn sich nehmen sollten. Aber wie der Spielprinz von Theben heißen nun viele kleine Knaben und legen sich den Jussuf wie einen Federgürtel um den Leib. Und Mareia rufen sich alle kleinen Mädchen nun in Meiner Stadt. Einer der Knaben wollte nach Meinem Neger Oßmann benamet werden, seiner spitzgefeilten Zähne wegen.

Seltsam berührte es Mich, daß der Sohn des Soldaten, der Mir einst im Zelt heimlich den Kinderbrief entwand – Giselheer heißen wollte.

Dreiunddreißigster Brief.

Ruben, Ich habe vor, Dichter der verschiedenen Länder zum Fest Meiner Krönung einzuladen. Meinen wundervollen Freund, den König von Böhmen und den Prinzen von Prag, den dichtenden Waldfürsten Richard und Meinen jüngsten Briefgefährten Wieland Herzfelde. Was sagst Du zu Meinem Vorhaben? ... Die Krönungsrede habe Ich schon zu Zeiten Meiner Prinzenwürde gedichtet, geschrieben, gefühlt, gedacht. Sei ohne Besorgnis, Ruben. Ich – Ich – Ich zeige sie Dir vorher. Dein Abigail.

Vierunddreißigster Brief.

Lieber Ruben. Ich lud auch die großen Söhne und Töchter Thebens in Mein Haus. Sie hatten alle ein Lied auf den Lippen, [30] als sie Mich verließen; draußen ertönte es durch die Nacht und seitdem ist Meine Stadt süß und jung. Ruben, Ich habe auch Meinen treuen Neger Oßman bedacht. Ich erfüllte damit den unerfüllbarsten Gedanken seines Lebens. Er soll einen Tag im Jahr Kaiser sein, Kaiser über Theben! Ich selbst werde des Dunkelhäutigen Untertan sein inmitten seines Eintagsvolks. Ich darf Mich dieser Demut und dieser Gnade erfreun.

Abigail der Erste von Theben.

Fünfunddreißigster Brief.

Mein herzlieber Bruder.

Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen. Ich wache, seitdem Ich Kaiser bin, oft mit dem Mond, manchmal zusammen mit den Häuptlingen für das Wohl meines Volkes. Du weißt, Ich habe immer die Nacht geliebt und sehnte Mich in der Sonne nach den Sternbildern. Gestern aber dachte Ich nur an Dich, mein herzlieber Ruben, und malte Dein Brudergesicht an die Decke zwischen Mosaik Meines Gemachs. Langhaariges, lichtes Fell um Deine Schulter – fern schweifen Deine braunen Augen und Deine Hand greift nach dem ersten Morgenstreif des Himmels, sich einen Hirtenstock zu schnitzen. Du Großhirte unter den Fürsten, Du Emir, Du Messias aller Tiere der bräutlichen Haine, der finsteren Urwälder. Du blauer Rosselenker, Du goldbrauner Schakal, der sich die Gazell holt vom Fels. Du lehrtest Mich das Wort vom keuschen Totschlag. Du bist Ruben, der noch unberührte Mensch der Bibel. Dein Bruder Jussuf.

Sechsunddreißigster Brief.

Bruder. Die Modelle der Basileuskrone sind im Stadthaus aufgehängt, unter Glas, zum Anschaun für Meine Thebetaner. Basileus.

Siebenunddreißigster Brief.

Höre Bruder, Mein Oßman verriet Mir, daß die Stadt Theben Mir zur Feier Meiner Krönung eine Privatsumme von [31] dreißig Millionen Mammuttalern überweisen lassen wird. Ich werde Meinem Theben drei Tempel erbauen, den Tempel der Ehrfurcht, den Tempel des Gebets, den Tempel der Liebe. Ich werde die Venus von Siam bringen lassen in Meine Stadt; sieh, Ruben, und wenn Ich ganz Siam hinmorden müßte im Kampf. Was der Basileus begehrt, gehört ihm. Ich weiß, Du zweifelst nicht an Meinem reichen Worte, und nicht einmal der Ärmste der Ärmsten dürfte daran zweifeln. Und noch dieses mußt Du hören, Bruder, Mein Volk beschäftigt sich täglich stürmischer mit der Vermählung ihres Basileus und die verehrten Häuptlinge beraten sich im Gewölbe Meines Palastes mit der Werbung. Auf der Tafel treten in engere Wahl der junge Kaiser Lidj Jassu von Abessinien, der Prinz Sascha von Moskau, der neue türkische Kriegsminister Enver Bey. Ich habe gegen alle drei Fürsten nichts einzuwenden, hoffe aber, daß Mein teures Volk, dem ich die Wahl überlassen werde, sich für Enver Bey entscheidet. Abigail Jussuf.

Der Malik
[31 (»Franz Werfel, Prinz von Prag.«)]

[32] Achtunddreißigster Brief.

Lieber Bruder, Ich sende Dir die Bilder der zwei abendländischen Dichter, die Mir wert sind. Dem Dichter Richard Dehmel werde ich zu Meiner Krönung den Kalifenstern, dem Dichter Franz Werfel die goldene Rose überreichen lassen. Der österreichische Kardinal Karl weilt seit einigen Tagen in meiner Stadt Theben. Seine milden, blauen Augen sind zwei Sehenswürdigkeiten. Abigail.

Der Malik
[32 (»Richard Dehmel, der Waldfürst.«)]

[33] Neununddreißigster Brief.

Mein Bruder, Ich und die ganze Stadt sind in außerordentlicher Festlaune. Du wunderst Dich, daß Ich Mir einen Kandidaten für die Ehe wählen lasse. Ich muß doch einigermaßen zuvorkommend meinem Volke gegenüber sein. Zur Kaiserheirat gehört weiser Beirat. Ich betrachte die Ehe eines Kaisers als eine politische Angelegenheit, die Verantwortung wäre ja sonst ungeheuer. Meine Würde als unfehlbarer Priester, die Ich am Tage Meiner Krönung bekleiden werde, erfüllt Mich mit Sternen und Sonnen. Du, wie denkst Du Dir das, Ruben – unter uns zwei – Ich darf nun tun, was ich will!!! Du siehst, Ich bin ausgelassen in Meiner doppelten Unfehlbarkeit wie einer der streichlustigsten, kleinen Mêmedsiddis auf dem Weg zum Flußbad. Von Meinem Dach aus sehe ich eine Anzahl brauner Beine durch die Wasser waten. Heiß ist es – 40 Grad Thebenhitze im Schatten. Aber ich liebe die goldene Rose des Himmels ganz in Üppigkeit entfaltet. Wenn nur die Brunnen nicht faulten und die Leute Mein Gebot hielten, sich vom Fels das Quellwasser zu schöpfen. Mein Volk ist lässig, lieber holt es sich die Augenkrankheit, als daß es sich aus der Stadt zu gehn bequemt. Es ist ja auch jetzt namentlich interessant um Mich und Ich kann nicht ernsthaft zürnen. Wenn nur mein Koch nicht rotentzündete Lider hätte, und mir der Genuß all der süßen Gerichte einigermaßen Widerwillen bereitete – indem ich mir vorstelle, seine blöden Wimpern blicken auf die Makronen oder streuen den Zimt oder den Anis auf die Speisen. Mein Neger Oßman ist weniger empfindlich. Dein Bruder.

Vierzigster Brief.

Mein frommer, starker Halbbruder, Ich war Dir gram, Ich will lieber sagen, Ich kann Dir nicht gram sein im Grunde Meines Malikherzens. Du stelltest Dich auf Seiten Meines Volkes, schürtest seinen Ungehorsam gegen Mich auf, in der Zeit Ich vor dem Tor Meiner Stadt Theben mit dem Huf stampfte, [34] ein wildes, wieherndes Pferd. Aber Mein treu Volk ist voll Reu, ist ein einziger Malik mit Mir, Du!! Mein Volk ist süß wie die Himbeer, Mein Volk in Theben ist bunt und gesegnet, eine Feuerblüt. Sieh, Bruder, mit Siam stehts in Unterhandlung ihrer Venus wegen, die Du Mich hindertest, vor Meiner Krönung zu erkämpfen. Augenblicklich treiben sich Meine Thebetaner mit Goldlaub und Jubel geschmückt durch die Straßen und über die Plätze der Stadt und üben Lieder zu Meiner Krönungsfeier. Ruben, Du aber wolltest Mich zwingen. Auf Meiner Stirn beginnt sich ein Hieroglyph einzugraben, der Mir fremd ist. Jussuf.

Einundvierzigster Brief.

Geliebter Bruder! Mein hoher Freund Daniel Jesus Paul Leppin, der König von Böhmen, bezog gestern die Gemächer im ersten Vorraum Meines Palastes. Für sein schlankes Weib pressen Meine Negerinnen Öl aus Rosen. Ich bin dem böhmischen königlichen Dichter gut; uns verbindet die Freundesader. In Meiner zweiten Hauptstadt Mareia werden nur seine Bücher gelesen, unvergleichliche Begebenheiten, Thebens Menschen sind fast alle des Lesens unkundig, Mir selbst macht jedes Studium Kopfschmerzen. Man feiere Meine Unwissenheit!! Dein Jussuf Abigail der Wildstämmige.

Botschaft: Ich ernannte den König von Böhmen, Daniel Jesus Paul, zum Statthalter Meiner hochbeglückten Stadt Mareia.

Der Malik
[35 (»Daniel Jesus Paul Leppin | Der König von Böhmen und sein treuer Kamerad Jussuf Abigail Malik von Theben | Mein lieber, lieber, lieber Paul Leppin Daniel Jesus!!«)]

Zweiundvierzigster Brief.

Ruben, mit Meiner dritten Hauptstadt Irsahab kann ich keine Fühlung gewinnen. Diese vorsichtigen, leisen, gelehrten Hebräer erfüllen allerdings, wenn Ich, Ihr Melech, in Irsahab weile, die Mir zukommenden Zeremonien, aber der Wein ihrer Adern strömt Mir nicht entgegen, wie das kostbare Blut Meiner teuren Menschen aus Theben und Mareia-Ir. Argwohn und Verlegenheit, Erröten und Furcht empfangen Mich unter dem [35] Bogen dieser goldreichen Stadt. Ich bin das Meer, gar die Sintflut, die ihre Geborgenheit verheert. Mein Wort ertönt diesen verscheuchten Menschen wie Jägerruf. (Ich bringe nie Hasen um; das traust Du Mir doch nicht zu?) Mit Kummer vernehmen die bebenden Leutchen das Rauschen der vielen Muscheln und Perlen um Meinem Hals und gewahren spöttisch lächelnd die Nasenknöpfe in Meinen beiden Flügeln, und gutmütig lispeln sie über die Sterne und Monde Meiner Wangen. Mir sind die Leute unsympathisch ihrer unangenehmen Überlegenheit wegen. (Sie wissen außerdem nichts von Meinen Gedichten und Balladen.) Mein Oßman ist viel elementarer als Ich, sein Kaiser. Er riß sein dunkel Maul auf, die Irsahabhälse mit seinen spitzgefeilten Zähnen zu zerreißen. Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande!

Jussuf.

[36] Dreiundvierzigster Brief.

Ich habe Daniel Jesus neben Mareia-Ir die Statthalterei in Irsahab angeboten. Er soll versuchen, die Irsahabaner Meinem Herzen näher zu führen. Auch gab Ich einigen Malern den Auftrag, Mir für Meine Palastvorräume einige Landschaften und Städteschaften Irsahabs zu malen. Ich mag, so lang noch ein Mensch in der Stadt lebt, sie nur noch im Bild besitzen. Dein Bruder.

Vierundvierzigster Brief.

Geliebter fürstlicher Bruder. Mein Dromedar Amm ist krank und Meine Kamelin Rebb hat ein ganz kleines Kamelchen zur Welt gebracht. Im Palastgarten dürfen die kleinsten Kinder darauf reiten. Und Ich hole es Mir zum Schrecken Meiner Dienerschaft in Mein Privatgemach und spiele mit ihm. Dein kleiner Spielkaiser Jussuf.

Fünfundvierzigster Brief.

Ruben, denke Dir, es fehlen zwei Smaragden im Kaisermantel. Glaubst Du, das falle auf? Außerdem fleht Mich Mein Neger Oßmann an, daß Ich nicht barfuß auf den Hügel, nach alter Islamssitte, zur Krönungsfeier steige. Die Muschel Meines kleinen Zehs ist durch ein spitzes Steinchen beschädigt. Das Unglück geschah, als Ich zum Baden in den Fluß trat. Jussuf.

Sechsundvierzigster Brief.

Bruder, ich träume grausam von Dir in der Dunkelheit. Du bist der Alb Meiner Nächte. Vor dem Hügel stehst Du zwischen Meinem Volk: Ich halte die Krönungsrede. Meine lauschenden [37] Menschen versinken um Mich; Du aber wächst, eine Welt so groß und hoch, und erstickst Mein Wort. O, Ich weiß, wie Dich dieser Tag beunruhigt, aber darum sende Mir doch unbekümmerte Zeichen. Ich malte Dein stolzes, feines Rubenangesicht neben dem Meinen auf die Stadtfahne. Die weht von allen Dächern zum Willkommen. Mein Bruder Mein!

Der Malik
[37 (»Ruben und Jussuf | (Fahnenbild)«)]

[38] Siebenundvierzigster Brief.

Lieber. Unter den geladenen Gästen werden Mir die Maler der Modelle Meiner Kronen die Ehre schenken. Die Spielkrone, [39] die Du Mir zeichnetest, ist bunt getrieben mit allerlei Steinen besäet. Ludwig Kainers Festkrone trage Ich zu den Palastfeierlichkeiten. Heinrich Campendonk, der älteste der fünf Haymondskinder, [40] zeichnete Mir die Krone zur Jagd. John Höxter den Hebräischen Reif, Egon Adler die hohe Priesterkrone, Richter die Indianerfeder, Fritz Lederer die Krone seiner Berge. Ich [41] möchte das Riesengebirge, wenn auch einmal nur von ferne schauen! Und weißt Du, wer Mir den Kriegshut für die wilden Stämme entwarf? Der Lederstrumpf. Dein vielfach reichgekrönter Bruder Jussuf.

Der Malik
[38 (»Die Festkrone.« [Ludwig Kainer])]
Der Malik
[39 (»Die Indianerkrone.« [Heinrich Richter-Berlin])]
Der Malik
[40 (»Die Priesterkrone.« [Egon Adler])]
Der Malik
[41 (»Die Jagdkrone.« [Heinrich Campendonk])]
Der Malik
[42 (»Hebräischer Reif.« [John Höxter])]
Der Malik
[43 (»Die Spielkrone.« [Franz Marc])]
Der Malik
[44 (»Die Krone des Riesengebirges.« [Fritz Lederer])]

[42] Achtundvierzigster Brief.

Lieber Ruben, gestern beriet Ich Mich wieder mit dem österreich-venezianischen Kardinal Karl. Von seinem Gemach aus freute ich Mich über Mein begeistertes Volk und warf ihm Kußhände zu und jubelte mit ihm eine Weile. Der Kardinal sagte, Ich bin leutselig, er meinte, Ich bin zu allerleutselig. Meine Unerfahrenheit aber in Leutseligkeiten tat seinem gütigen Herzen wohl. Seine letzte Haut ist ein Ornat.

Neunundvierzigster Brief.

Ruben, am Abend sah Ich endlich Enver Bey (Enver Pascha). Wir gefielen uns, wir lachten unaufhörlich wie bürgerliche Verliebte; dann speisten wir zusammen im Palast. Du hör, wir speisten ganz allein, prüften unsere Arme nach der Tafel! seine sind eherner! Er war aber höflich genug, Mich nicht niedersinken zu lassen bei unserm Wetthandkampf! Er hat Augen aus Nacht. Mir erzählte [43] Oßman, er habe zu seinem General gesagt von Mir: Tucktacktei umbrahallâh! Zu Mir hat er auch so was tucktacktürkisches zärtlich gesagt – »Malik, manchmal siehst Du aus wie ein Straßenjunge!« Sonst spricht er eigentlich nur vom Krieg; vielleicht wollte er Mir imponieren? In Friedenszeiten immer vom Krieg. Noch dazu wenn man sich mit ihm vermählen will. Ich hab’ Mir da was eingebrockt! (Auch gefallen mir Schnurrbärte nicht.) O Dein gefesselter Jussuf Abigail I.

Fünfzigster Brief.

Ruben, die Venus von Siam trifft morgen verschleiert in Theben ein. Ich fürchte aber, ihre Schönheit vermag kein Gewebe zu verhüllen. Bewaffnete Soldaten erwarten sie am Eingang der Stadt. Den Jünglingen schlagen die Herzen andächtig; Ich höre sie alle wie ein einziges gegen Mich pochen hoch im Traum.

[44] Einundfünfzigster Brief.

Ruben, ein schreckenerregender Zwischenfall, eine Kabale eines Eifersüchtigen Meiner Stadt. Ein bestochener Soldat ereilte Mich, als Ich auf Meinem Araberhengst der Sternenfrau entgegeneilte, stammelte Mir lieblich ins Ohr: Der Arier Giselheer halte sich versteckt in der Stadt. Ich zerriß vor unermeßlichem Glück den falschen Botenbringer in Fleisch und Knochen. So belohnte ihn tödlich die Freude und der Haß hätte ihn zerfetzen müssen. Also hat man Mir den Abendländer, der Mein Herz eroberte, noch nicht vergessen. Ich glaubte, Ich besäße keinen Feind in Meiner süßen Stadt. Dein armer Bruder.

Zweiundfünfzigster Brief.

Mein Bruder. Die Feierlichkeiten sind vorbei, aber noch verbinden Girlanden die Häuser mit dem Palast. Meine Krönungsrede [45] wird ausgegeben in den Straßen. Ich sah Dich am Fuße des Hügels stehen und weinen. Daniel Jesus Paul und Du küßtet Euch – Ich wußte, daß Ihr entbrennen würdet in Wohlgefallen. Bei der Tafel aber ärgertest Du Dich einigemale über Deinen gekrönten Bruder. Ich vernachlässigte Meine Thebetaner um der Künstler willen und gab den Frauen mutwillige Ratschläge. Sie sollten sich mit nichts anderem beschäftigen, als für ihren Malik zu schwärmen. Auch schien es Dir, Ich tanzte zu viel, und zu unbändig für einen Basileus. Aber Du kennst doch Meine Thebenmenschen noch nicht. Die freuen sich aller Ausgelassenheit und da nun Meine beiden Kaiseraugen auf »ernst« gestimmt sind, verbüße Ich keineswegs von ihrer Hochachtung. Volk darf nicht zum Nachsinnen kommen, Ruben. Dein Tiervolk sind eben andere Menschen ... Auch der Kardinal verließ die Stadt befriedigt, und kehrte nach Wien zurück. Grüße Mir Meinen neuerwählten Vizekaiser Daniel Jesus Paul, er möge Dich, Mein geliebter Bruder, und Dein lieb Weib noch lange in meiner Zweithauptstadt Mareia süß beherbergen. Dein Jussuf Abigail.

Botschaft: Ruben, morgen halte ich Gericht. Jussuf.

Dreiundfünfzigster Brief.

Ruben, auf demselben Hügel, von dem Ich der Basileus die Krönungsrede hielt, richtete Ich die drei Verbrecher Meiner Stadt Theben. Ich fragte den Brudermörder, wie ihn sein erschlagener Bruder im Jenseits richten würde, worauf der arme Kerl so heftig mit seinem Arm ausholte, als ob er die Axt auch gegen sich erhöbe. Ich fragte ihn, wie mag dein Vater Naphtali, wär der der Basileus, dich richten und deine arme Mutter Bekki dich?? Ich sprach, Ich will dich richten nach deiner Mutter Herz. Da entstand unermeßliche Freude in Meinem Volk; das mochte den erschlagenen, griesgrämigen, spielverderbenden Bruder nicht. (Du, Ich auch nicht.) Den zweiten armen Kerl richtete Ich nach dem [46] ersten so mild; aber den dritten, Ruben, der war ein Stadtverräter, den ließ Ich in einen Turm sperren; an den Wänden rings herum überall hängt Mein Bild. Damit er immer in die ernsten, gläubigen Augen seines Kaisers sieht. Jussuf Abigail I.

Vierundfünfzigster Brief.

Einige Fragen legten Mir die Thebenältesten nach alter Islamsitte vor: Was Mich in der letzten Zeit beleidigt hätte, Ich sagte, die albanische Fürstenfrage, daß Ich nicht zu Meinen drei Städten noch die albanische Regierung anvertraut bekommen habe. Mit bunt Volk muß man gold und lila sein, nicht schwarz, weiß, ziegelrot, das sind zu harte Farben.

Sehr delikat berührte man Meine in Aussicht gestellte Vermählung mit Enver Pascha. Ich erörterte die Bedenken des verehrten Kardinals von Wien gegen die Heirat mit Bey, und wir einigten uns, indem wir Aussicht nahmen auf eine eventuelle Verbindung Meiner kaiserlichen Hoheit und der abessinischen Hoheit des Menelik unseres Vetters von Abessinien. Ich finde ihn, unter uns Zwein, traut, sanft kindlich, mausgrau und levkoienfarbig getönt und hinreißend verliebt in Mich. Dein Jussuf.

Fünfundfünfzigster Brief.

Ruben. Ich habe Meinem Volk die Erlaubnis zur Gründung dreier Verbrüderungen gegeben. »Die Jehovaniter«, die Väter der Stadt. »Die roten und gelben Adame«, die Viehhüter Thebens und seiner Umgebung. »Die Zebaothknaben« nennt sich der Bund der Söhne. Aus diesen wählte Ich sieben Häutlinge und setzte Mich über sie als ihr Oberhaupt. Wir acht wilde Juden bilden nun eine Altardecke, Ruben. Mit diesen Meinen wilden Juden ziehe ich über die Alpen nach Rußland. Sascha, der Prinz von Moskau, liegt dort in Ketten.

[47] Die Krönungsrede.

Mein süß Volk! Die großselige Mumie Meines Urgroßvaters, des Scheiks, liegt nun 100 Jahre im Gewölbe. Er konnte sein Herz in die Hand nehmen und es strömen lassen wie einen bunten Brunnen. Ich aber werfe es unter euch, Meine süßen, bunten Menschen und ihr werdet es pochen hören und ihr sollt euch spiegeln in seinem Glanz. Mein Herz wird euch ein Garten sein, ruht unter seiner Palme Schatten. Mein Herz ist ein Weinberg, ein Regenbogen eures Friedens nach dem Sturm. O, Mein Herz ist der Strand der Meere, Mein Herz ist der Ozean: Ich will den Gaukler tanzen fühlen über Mein rotes Rauschen und den Gestrandeten untergehn in Meiner Welle. Aber den Heimgekehrten wird Mein Herz einlassen durch sein Korallentor und dem Liebenden will es ein Mahl bereiten von seiner Beere. Mein Herz möchte sich aufrollen dem Frommen, ein Teppich der Gnade und Demut; dem Betsüchtigen soll Mein warmer Tempel eine Heimat sein. So lieb Ich euch, ihr Brüder und Schwestern Meiner Stadt Theben, und Ich bin euer Bruder und euer König und euer Knecht. Denn wer nicht gehorchen kann, kann nicht regieren, und wer nicht regieren kann, rühme sich der Demut nicht. Ich, der Malik, bin das Schloß zu der Kette, die ihr bilden sollt; daß ihr Mir den Malik ehrt! Und er das goldene Amen eurer Rede ist. Aber auch die Kriegszeiten soll »das Blutfließen einer Ader« bedeuten, den Schauer der Schlacht laßt uns einen Mantel um unsere Schultern legen. Wer seinen Freund verläßt, ist ein Fahnenflüchtiger, aber wehe dem, der sich dem Feinde des Sieges rühmt. Ich will Kaiser sein über Kaiser. Jeder von euch, und ist’s der Ärmste, heißt Mein Kaiserlicher Bruder. Wir wollen uns küssen auf den Mund. Ich, der Malik, einen jeden, jeder von euch den zweiten. So pflegt Mir die Worte Meiner Liebe zart, daß sie zwischen dem Brot eurer Äcker blühen. Immer sah Ich auf zum Himmel, o, ihr müßt Mich liebhaben, und Ich bringe euch Mein Herz ganz sanft wie eine Großnarzisse. Abigail Jussuf I. Basileus.

[48] Als der Malik hörte, daß sein verschollener Liebesfreund schon acht Jahre im Kerker von Metscherskoje im Lande des Pogroms schmachtete, strich er das Gold von seinem Augenlide. Er vergaß zu regieren in Theben, sann, den teuren Gefangenen zu befreien. Und er beschäftigte sich ausschließlich nur noch mit der Ausrüstung seines Heeres und nahm die von ihm zu Häuptlingen erwählten Jünglinge aus der Vereinigung der Zebaothknaben. Fußhoch lag der Schnee auf der Ebene nach dem Kerker bei Moskau. »Und in Schakalfellen gehüllt, werden wir den Bauern der weißen, unerbittlichen Gegenden Schreck einjagen.« So schrieb der Malik seinem fürstlichen Bruder, dem Ruben Marc von Cana. »Du müßtest Meinen Oßman sehen, der flößt Mir Selbst in seinem wilden Mantel Furcht ein. O, Mein Bruder Mein, Du und Ich und der Prinz Sascha von Moskau sind die einzigen Menschen in der Welt, die mit ihr Fangen spielen konnten. Nun ist sein Herz gebrochen vor Spielsehnsucht, nun lächelt es wie Greisenlachen und leidet Jugendnot.«

Der Malik
[nach S. 48 (»Laurencis Jussuf. [Stern] Gad | auf dem Pfade nach [Mondsichel mit Stern] Ïrsahab im Tanzschritt«)]

Der Fürst von Cana sandte seinem Bruder dem Basileus und seinem Heer, das aus der kleinen Zahl der Häuptlinge bestand, seine herzlichste, brüderliche Teilnahme. Ihn schmerzte, den kaiserlichen Bruder nicht vertreten zu können, in der Zeit seines kriegerischen Pilgerzuges. Auch der Kardinal Karl von Österreich sprach sich zwar gerührt über das Vertrauen des Maliks aus, aber empfahl seine gottalte Stadt der Obhut des jungen Herzogs Hans Adalbert von Leipzig. Und der Malik erklärte sich einverstanden mit dem abendländischen Vertreter aus wohlgerechten Gründen. Denn es war in ganz Theben kein Atmender, der nicht Malik war und der den Malik hätte vertreten können. – Die weltmännische, liebenswürdige Art des Herzogs von Leipzig gewann bald das Herz des Kaisers und die Laune seiner bunten Stadt. Seinem Bruder Ruben, dem blauen Reiter, teilte Jussuf wörtlich mit: »Ich bin dem Kardinal Karl im höchsten Maße für den Anteil, den er an Meiner Stadt liebevoll nahm, verpflichtet. Ich und Mein Volk sind des Lobes voll über Hans Adalbert, den Vizekönig von Theben. Er wird in der Zeit, in der Ich und [49] Meine Häuptlinge den Schneeweg überschreiten, Meine Stadt würdig regieren, süß belustigen und sie bescheren mit Meinem Angedenken. Meinen treuen Somaliknecht Oßman habe ich im Verdacht des ganz kindlichen Schachers. Er wollte dem Herzog heimlich seine Würde als Kaiser verkaufen, die Ich ihm einmal im Jahre abzutreten versprach. Siehst Du, so wichtig nimmt er es damit. Aber was man so täglich vor Augen hat! Und Du legtest Meiner Freigebigkeit so ernste Bedenken bei!«

Der Malik und der Herzog von Leipzig ritten alle Abende auf Kamelen durch die Straßen Thebens, und der Kaiser freute sich immer wieder über die zärtliche Art, mit der sein hoher Gast die Frauen seiner Stadt ehrerbietig begrüßte, die Männer in kunstvolle Gespräche zog und die Knaben mit Neckereien beglückte. Aber die Leute, die den Herzog von Leipzig begleiteten, lagen lange im Magen des Flusses. Sie rümpften ihre Nasen und höhnten über die Bilder, die sich die Menschen in Theben auf ihre Wangen zu malen pflegten. Am Abend wurden die abendländischen Fremdlinge im Wasser ersäuft. Der Malik und sein schöner Gast saßen auf dem Dach unter der Sichel und plauderten. Indem der Kaiser keinen Widerspruch erhob, nahmen die Leute Thebens an, daß ihre gerechte Handlung auch mit dem Einvernehmen ihres Vizekönigs geschehe. So rettete der Kaiser dem Herzog die Vizekrone.

Auch freute sich Jussuf Abigail sehr über die vornehme Klugheit seines feinen Stellvertreters. Nicht selten traf er ihn mitten auf dem Marktplatz, wo er von den großen Eigenschaften ihres großen Kaisers erzählte. »Ruben, Mein Volk liebt Mich, Ich bin sein Tor; nicht ein Spalt führt sonst zu ihm.« Tagsüber versicherte der edle Gast dem Malik, er freue sich, nun endlich Jussuf Abigail von Angesicht zu Angesicht zu sehen.

»Ruben, wenn der Mond rund ist, ziehen wir nach Rußland. Aber gestern feierten wir noch den Oßmanstag. Ich und der Herzog hatten unsere helle Freude an dem fressenden, braunen Basileus. Er saß auf Meinem Dach in Meinem Mantel mit der Spielkrone, die Du Mir schenktest, auf dem Oßmanhaupte, [50] und fraß einen schwarzen Hammel mit der Wolle und dem Schwanz auf. Die Frauen Thebens sandten ihm alle zuckerfarbene Süßigkeiten, und in den glitzernden Läden der Basare ließ ich die überladensten Ringe auslegen, die sich Mein zum Kaiser erhobener schwarzer Diener erstand. Und die ganze Stadt und Meine Bürger werden diese Meine Laune Mir nie vergessen. Die Schwermütigen wurden vor Lachen gesund, den Krüppeln wuchsen die Glieder wieder; alle wollten sie den schmausenden Basileus sehen.«

Dein ausgelassener Bruder

Jussuf Abigail von Theben.

Mein Ruben, lebe wohl! Der Rücken Meines Dromedars dient Mir als Pult, Dir noch einen frommen Abschiedsgruß zu senden. Oben am Himmel glüht gezückt der gebogene, goldene Monddolch. Wir werden den Prinzen von Moskau aus seiner Gefangenschaft befreien, so wahr Ich Jussuf Abigail der Malik bin.

Das waren die letzten Worte, die der Basileus von Theben seinem Halbbruder, dem blauen Reiter Marc von Cana schrieb. Seitdem schimmerten seine Augen bunt wie der Fluß, an dem seine Stadt lag. Nachts verbrachte er in seinem Lieblingsgarten, reihte die roten Beeren der Astrantsträucher auf Schnüre oder bog wie ein Kind die Stengel der Pusteblumen wilder Wiesen zu Ringen und fertigte Ketten an. Lauter Spielerei. Oßman holte dann den lächelnden Kaiser noch vor Sonnenaufgang in den Palast zurück, weil er einmal einen Stadtalten zu einem Stadtalten flüstern hörte von des Maliks plötzlicher Verblödung. Aber des Kaisers strahlendes Gesicht bürgte für seine Unbrüchigkeit. Für ihn regierte schon der Herzog von Leipzig, sich an das hohe Amt zu gewöhnen, das ihm der Basileus in seiner Abwesenheit, in der Zeit seiner großen Wallfahrt, übertrug. Daß kindliches Spiel »schlummern« bedeute, äußerte der hohe Freund seinem feinen Gast. Und er müsse viel, viel schlummern vor seiner Reise, deren Sonne nicht untergehen dürfe. Nicht oft genug konnte Jussuf seinen treuen Neger befragen, ob er wohl (der Malik) dem feinen Gast gefalle? Über das Wasser des Brunnens seines [51] Schlafgemachs neigte sich Jussuf Abigail oft heimlich auf Zehen, um manchmal enttäuscht zu brüten. Aber gläubig hingen seine Gedanken an dem Pilgerzuge, den er noch im selbigen Monat am Siebenten des El Aschura zu unternehmen gedachte. Oßman, der unersetzliche schwarze Knecht, verkürzte dem Kaiser die Zeit, indem er ihn belustigte, einen Kosaken nach dem andern, die sich ihnen auf der Wanderung feindlich in den Weg stellen würden, auffraß. Jedesmal eilte dann der Kaiser durch die Vorräume und Gemächer seines Hauses, den Hans Adalbert zu holen; so, daß er ihn oft in seinen Regierungsgeschäften störte. Der Herzog von Leipzig schrieb dann von der Spiellust seines thebetanischen, kaiserlichen Freundes ganz ergriffen dem Kardinal von Österreich. Der Malik ist mir der liebste Freund, den ich je besessen habe, darum bitte ich Eure Eminenz, Ihren Einfluß geltend zu machen, den Malik an seiner todbringenden Expedition zu hindern. Der österreichische Kardinal warnte dann einige Male vergebens den Malik in seiner Sorge um ihn. Aber Abigail Jussuf antwortete dem Kardinal, indem er ihm die wundervolle Geschichte David und Jonathans in alttestamentarischen Buchstaben aufzeichnete, die aussahen wie lauter Harfen. Ergriffen von der Treue des asiatischen Herrschers, sandte Karl große Geldspenden für die fromme Reise. Damit war der Punkt erfüllt, den der junge, diplomatische Herzog, der Vizekaiser von Theben im Auge hielt; der hegte keinen Zweifel an Abigails Entschluß und er litt unsäglich unter der Tatsache, daß dem kaiserlichen Unternehmen ausreichende Barschaft fehle. Jussuf jedoch war heimlich enttäuscht, daß sich der Herzog mit der Reise nun über die kalte Schnee-Ebene zufrieden zeigte! Seinem teueren Halbbruder hätte er jeden Einspruch in diesem Kriegszuge als Unterschätzung seiner Kraft übel genommen, auch die Liebesvenus von Siam, die er einst den Siamesen raubte, vertraute dem goldnen Stern seiner Wallfahrt. Es versammelten sich die Häuptlinge Mordercheiï, Calmus, Gad, Asser, Mêmed und Salomein vor dem Palast und schlugen auf ihren Kriegstrommeln eine Musik, die die schlummernde Stadt aufweckte. Auf ihre Dächer stiegen die Einwohner Thebens, [52] sangen des Kaisers Namen, daß er anschwoll zu einem Konzert. Der Kaiser bestieg mit verhülltem Angesicht sein mächtig Tier, das Oßman führte bis vor die Tore der Stadt. Aber als die sich schlossen, wandelte Jussuf Abigail, der kaiserliche Häuptling, barfuß zwischen seinen Häuptlingen, bis sie an den Fluß Abba kamen. Dort wusch sich die fromme Karawane den Staub von den Zehen. Marc von Cana, des Maliks teurer Halbbruder, traf gerade in Theben ein, als Jussuf die Stadt verlassen hatte. In des Basileus Gemach saßen die beiden Fürsten Ruben Marc, der blaue Reiter, und der Herzog am liebsten und sprachen von dem kleinen Kaiser, der das große Theben morgens aus einer Schachtel nahm und es abends von seinem Oßman wieder hineinlegen ließ. Ruben war gemessener und milder; und gleichmäßiger pochte sein Emirherz als das seines Bruders Jussuf. Auch äußerlich war Ruben von hohem Wuchs und stiller, zärtlicher Majestät und gewaltiger, sonniger Schönheit. Seine Augen vom Braunholz der süßen Baumrinde. Und jedesmal wieder erfreute es den Großemir, wie der junge Herzog das Spielherz seines Bruders verehrte. Die Leute im Palast erzählten Ruben, der Herzog sei immer um Abigail gewesen, als ob er ihn umspüle wie eine Insel. Solche Erzählungen trösteten den canaanitischen Fürsten, denn er glaubte, sein Bruder habe einsam vor seiner Wallfahrt gelebt. Eine ihm unerklärliche Ahnung weissagte ihm, daß er und sein Jussuf sich nie mehr wiedersehen würden.

Das kleine Pilgerheer unter Jussuf Abigail hatte fast das Tal von Irsahab erreicht, als die wilden Juden und ihr Kaiser ein Wolkengebild auf sich zukommen sahen von dem Gipfel der Berge herab. Es waren einige tausend Jünglinge der Althebräerstadt, die Jussuf ihrer eingebissenen Väter wegen haßte. Deren Söhne aber säumten ihres Maliks Bild mit ihren goldenen Träumen und liebten den Kaiserschelm, der einmal im Jahr seinem Neger die Krone aufs wollige Haar setzte, Sich Selbst zu einem Seiner Untertanen machte. Diese Freigebigkeit hatte das junge Herz von Irsahab erobert. Und in keinem Haus der Althebräerstadt wurde nicht einer der Brüder vom Vater gemieden. Es geschah, [53] daß Väter ihren fanatischen Söhnen, und hatten sie zehn an der Zahl, den Einlaß ihres Hauses verschlossen. Davon hörte erst Abigail, als die Knaben sich von Ihm und den Häuptlingen getrennt hatten. Ihr Anführer schritt dem stürmenden Zuge voran und es berührte den Malik die Andacht seiner Redeweise wohltuend. Als der Kaiser ihn fragte, wie er heiße, nannte er sich Zwi ben Zwi, und der kaiserliche Häuptling betrachtete seinen Anstand mit Wohlgefallen. Und er ließ sich von den glücklichen Irsahabanern vom Rücken seines Kamels heben, das er wieder vom Flusse Abba aus bestiegen hatte, und beschenkte jeden der Knaben mit einem Schmetterling seiner bunten Augen und hinderte die Jubelnden nicht, Ihn ein Stück durch das Sandmeer zu begleiten.

Der edle Fürst Ruben Marc von Cana saß wieder in seinem Lande und der Herzog von Leipzig regierte in Jussufs Lieblingsstadt. Endlich empfing diese eine kurze Nachricht ihres Maliks:

Theben, meine süße Braut. Die Häuptlinge, mein Leib, meine Spielgefährten sind alle durch die Schmerzen der großen Kälte des Zarenreiches erkrankt. Nicht einen Gruß sendet die Goldmutter auf die frostigen Ebenen zum Willkomm zur Erde. Mir aber schlägt das Herz für den Freund und wärmt mein Blut. Einsam in Begleitung Meines treuen Oßmans, dem statt der spitzgefeilten Zähne Eiszapfen aus dem Maule hängen, ziehe ich weiter über Moskau nach Metscherskoje, den Prinzen Sascha aus seiner schweren, achtjährigen Haft zu überführen nach Tiba.

Der Malik wurde von der Zarewna in Audienz empfangen; in ihren ernsten Kaiserinnenhänden lagen Jussufs Liebesgedichte in weißem Brokat. Vom Glücksstern der Großfrau von Rußland geleitet, erreichte der Malik nach kurzen Gepflogenheiten mit der Justiz die Aushändigung seines unschuldigen, himmlischen Spielgefährten, aber der starb am Abend noch in seiner schmachvollen Zelle in den Armen des erschütterten Freundes. Abigail Jussuf sprach, so lange er lebte, nie seines Liebesgefährten Namen aus, ohne sich zu besternen. – Bewacht von einer Anzahl Kosaken im obersten Gewölbe des russischen Towers zu Metscherskoje [54] fand der Malik den Freund. Der gefangene, heilige Feldherr richtete sich sterbend von seinem Lager auf, als er Jussuf erblickte und rügte ihn zärtlich besorgt seiner Unvernunft. Aber ein verblutendes Morgenrot überzog zum letzten Male das wundervolle Antlitz Saschas, und Jussuf Abigail, der weinende Malik, schämte sich über den kleinen Splitter Gefahr, der er sich ausgesetzt hatte neben der bedrohten ehernen Geduld seines liebsten Gespielen, dessen Glieder zum Gerippe abgemagert waren; in seinen Lungen fraß der Bazill.

In der Nacht noch ließ ihn der Malik einbalsamieren. »Tüsa goya min enti Tiba« waren die letzten Worte des sterbenden thebetanischen Kambyses, der einst nach Rußland zog, die Semitten zu befreien. Jussuf trug ihn Selbst mit dem schwarzen Knecht in einem Sarge auf den Schultern über die Ebene nach der alten Zarenstadt; von dort schlossen sich die aufgetauten wilden Juden dem frommen Totenzuge an. Als die Leute in Theben ihren Malik und seine Häuptlinge kommen sahen, hißten sie schmeichelnde Trauerfahnen auf ihren Dächern, warfen sich zu Boden und verhüllten ihre Gesichte; die Totenweiber klagten dreißig Tage und Nächte und Südraben flogen über die Stadt, die sangen die Melodien gottalter Psalme. Jussuf Abigail saß im Palast und weinte. Seine Häuptlinge vermochten ihn nicht zu trösten, auch schlug er launisch die Einladung des Ramsenith von Gibon aus, der eine Vorliebe für den spielerischen Jussuf empfand. Dieser schöne, eitle König fühlte sich persönlich von der kurzen Art der Absage getroffen und kündigte dem Malik die freundschaftlichen Beziehungen seines Landes, darin sich Abigail der künstlerischen Bestrebungen wegen gerne aufhielt. Diese kleine Ursache gab Anlaß zu einem späteren Kriege. Den Kaiser verlangte es nur nach Ruben, seinem teuren Halbbruder, der aber war in seiner Abwesenheit in die Schlacht gezogen, mit den Ariern gegen die Romanen und Slawen und Britten. Daß er Ihm, dem kaiserlichen Bruder das antun konnte! Jussuf nahm in seinem kaiserlichen Egoismus das Rüsten seines Bruders fast persönlich gegen Ihn gerichtet auf; darüber vermochte der verlassene [55] Malik sich nicht zu trösten. Den heiligen Leib seines himmlischen Freundes bestattete er im Königsgewölbe bei Theben, und das thebetanische Volk fürchtete um die Gesundheit seines Kaisers, der sich selten noch unter sie auf den Straßen oder auf den Plätzen mischte, sich nicht einmal mehr beschauen ließ in seinen Gärten. Um die Abendzeit wandelte Jussuf manchmal dicht verschleiert durch die Gänge der Vorräume seiner Gemächer. Er war tief mit sich im Gespräch, oft hörten die Neger ihn fluchen wie die Baumfäller im Walde, und die Wände des Palastes wankten dann wie beim Erdbeben. Rubens Weib, die Mareia, beschuldete er ungerechterweise, eiferte wider ihre weiße Abstammung, die seinen stolzen, friedliebenden Bruder veranlaßte, mit den abendländischen Völkern zu kämpfen; vergaß, daß sein starkwilliger Ruben einen ebenso selbständigen wie edlen Eigenwillen besaß. Am vierten Tage nach der Broternte erhielt Jussuf Abigail eine rührende Botschaft seines fürstlichen Bruders aus dem Kriege. Seine Anschuldigungen vergessend, entsandte der Malik Treiber nach Cana, die dem Weibe Rubens mit Geschenken beladene Kamele führen mußten und der Emirin die Kunde brachten, daß der Fürst sich auf dem Wege zur Heimat befände. Zu gleicher Zeit wurden aus dem arischen Heere Soldaten gewählt und ausgerüstet zur Reise nach dem ägyptischen Theben, den Malik Abigail Jussuf, der des Bumerangwerfens gefürchtetster Krieger war, gegen die Indier ins Feld zu werben.

Die Hirten, die Abigail zu seines Bruders Weibe gesandt hatte, ihr die Freudenbotschaft zu bringen, daß Ruben auf Cana zuschreite, erzählten bei ihrer Rückkehr den Leuten Thebens, daß sie abendländische Krieger gesehen hätten, an den Goldfeldern singend vorbeimarschieren auf Irsahab zu, und daß man ihre Helme sicher schon von der großen Kuppel des Palastes aus glitzern sehen müsse. Die älteren Leute gedachten des Kampfes, den sie unter der Anführung des noch damaligen Prinzen Jussuf gegen eine Arierschar erfahren mußten. Umschlungen auf einem Weizenfelde sah ein verwundeter Thebetaner die beiden Fürsten der feindlichen Heere im silbernen Brote stehn und sich inbrünstig [56] küssen. Durch Theben aber tönte die Siegeskunde, der Prinz habe die Christenhunde in die Flucht geschlagen. In Wirklichkeit jedoch hatten sich die beiden verliebten Anführer: Giselheer und Jussuf ihrer Heere geeinigt. – Dem Herzog von Leipzig war schon in den ersten Tagen seiner Vizeregentschaft dieses Kriegsgeheimnis zu Ohren gekommen; nicht die ungeheure Begebenheit erboste ihn, aber die Leichtfertigkeit, mit der dieser Nibelunge, dessen Herz in Thebens Sonne süß geworden war, seinen schwärmerischen kaiserlichen Freund verlassen konnte. Der herzogliche Hans Adalbert, der es sich zur Aufgabe anheischte, alle Erdteile miteinander zu verbrüdern, eine internationale Welt schon im Interesse der Kunst zu schaffen, bemühte sich in seiner klugen, liebevollen Weise, die beträchtige Anzahl der älteren Menschen von der Vereinigung der Jehovaniter für den Malik wieder zu gewinnen. Die waren vermutlich von den Vätern der Irsahabaner aufgestachelt worden; es schien dem diplomatischen Stellvertreter des Throns von Theben gelungen zu sein, einen Aufruhr von Jussuf Abigail fern zu halten. Der hatte seinen kleinen Bruder Bulus nun bei sich in seiner Stadt und lehrte ihn jeden einzelnen Menschen seines blauen Theben lieben, die er mal regieren sollte nach seines Malikherzens frommer Fackel. Und befreundete ihn mit dem ältesten Sohn Hyne Carolon, eines Großhauses am Fluß in Theben, das Er so gern aufsuchte.

Der Malik
[56 (»(Giselheer)«)]

[57] Abigail Jussufs zweite Stadt, die Er nach Rubens Weibe Mareia benamet hatte, beabsichtigte Abigail, nach Seinem Sterben selbständig zu der Kaiserstadt Seines treuen, hochverehrten Dichterfreundes Daniel Jesus zu erheben, der gegenwärtig schon dort Seines kaiserlichen Gefährten Thron vertrat, Jussuf Abigails dritte Stadt aber, die Goldstadt Irsahab, sollte, nach der Väter Aussterben, Tibas Tempelvorstadt werden, Zebaoth, geweiht dem Gottjüngling, den Jussuf inbrünstig anbetete. – Die Knaben von Irsahab, die die arischen Ritter auf ihre Tore zukommen sahen, bewaffneten sich und zogen ihnen entgegen, im Glauben, die hellen Krieger kämen feindlich wider Jussuf Abigail. Aber Zwi ben Zwi, der Oberbefehlshaber der jungen Irsahabaner, der schon einmal die Knaben durch die Wüste zu ihrem Malik gebracht hatte, erkannte, daß es sich um einen freundschaftlichen Besuch handele, die abendländische Regierung ein persönliches Anliegen durch seine Ritter an den thebetanischen Kaiser zu stellen gedenke und Männer der Kunst zu diesem Zwecke, Abigails Neigungen zu schmeicheln, wohlweislich erwählt hatte. Und die tapferen Juden von Irsahab verbargen ihre Waffen und bewillkommneten die fremden Krieger, die ihre Zeremonien erwiderten. Zwi lud sie ein in das Haus seines Vaters mitten in der Stadt im Interesse Abigails. Zwis Eltern beide, Tamm und Miëne, waren fromme Leute; sein Vater hatte sein Herz mit dem Lesen der Tora bereichert, aber Miëne lehrte ihrem Sohne das feierliche Schreiten, daß er immer nur wandele, wohin auch, zum Altar. Es war das einzige Elternpaar in Irsahab, das den Bestrebungen ihres Sohnes kein Hindernis in den Weg stellte. Am Abend lagerten die müden Arier im kühlen Vorhof seines Elternhauses und tranken von dem Trunk, den Miëne aus Mais und Zimtstauden zu bereiten verstand. Zwi, der Gastgeber, mußte den abendländischen Soldaten von dem Malik erzählen, von seinen Taten, seinen Hoffnungen und seinen Lieblingsbeschäftigungen. Dieser feine Sohn Tamms und der Miëne hatte sein ganzes Leben hindurch nichts anderes getrieben, wie den Malik von Tiba [58] studiert, und schon dem jugendlichen Prinzen Jussuf führte er, von Diesem ungeahnt, Sein blaues Tagebuch. Zwi kannte also Jussuf Abigail wie ein Astronom sein nächstes Sternbild. Später stellte sich auch der Urheber der rätselhaften Schreiben heraus, die immer dann an den Malik gelangten, wenn er der Warnung bedurfte. Diese zarten, aber willensstarken Äußerungen, die den jähen Basileus von einem unbedachten Schritt bewahren sollten, kamen also von dem Sohn des Tamm und der Miëne. – Welchen Zauber alte Heldensagen auf Abigail Jussuf ausübten, davon konnte Zwi der Irsahabaner einiges den lauschenden Soldaten erzählen. Ob sich der Malik aber wohl bewegen ließ, auf seiten der verbündeten Mächte gegen die anderen Länder zu ziehen, verweigerte Zwi, vielleicht aus Anstand, der thebetanischen Antwort nicht zuvorzukommen, seine Meinung. Auch die Ritter vermieden, an die strenge irsahabanische Anhängerschaft jede weitere Frage zu richten, wie sie auf Abigails günstigen Entschluß wirken könnten. Doch als die abendländische Botschaft sich wieder unterwegs befand, auf Theben zuschritt, einigten sich die künstlerischen Krieger untereinander, Abigail Jussuf einen Streich zu spielen, der Sein buntes Herz erobern würde. Wieland Herzfelde, dem jüngsten der dichtenden Kürassiere, der den Plan ausgeheckt, saßen zwei leuchtende blaue Schelme im Gesicht, denen man nie böse sein konnte; das wußte er. Dieser kecke Herzschelm pflegte den Kaiser von Theben kurzweg »der Jussuf« zu nennen. »Was meint ihr, wenn wir uns dem Jussuf als seine Lieblingsgestalten alter Sagen repräsentieren?« Daß es sich in Theben um einen gänzlich wilden Kaiser handele, der sogar seine Ungelehrsamkeit als besondere Bevorzugung feiern ließ, sie ab und zu als Vorbild der gelehrten Goldstadt Irsahab langbärtigen Vätern unter die schlaffen, ungeschmückten Nasen zur Beriechung hielt, hatten die Abendländer aus den begeisterten Erzählungen Zwis geschöpft. Und die Soldaten fürchteten in dem Wagnis ihrer launigen Krieglist keinerlei Gefahr. Ihren Kameraden Wieland, den auferstandenen Roland von Berlin, trugen sie abwechselnd auf ihren Schultern wie einen Sieger ungehindert durch die singenden sieben [59] Säulen in die bekränzte Stadt Theben. Denn Zwi, der treue Anhänger aus Irsahab, hatte dem Malik verkünden lassen, daß die Ritter die Gastfreundschaft seines Elternhauses genossen hätten und in kriegsfreundlicher Absicht auf Theben zuschritten, Ihn, den großen Basileus, zum Kampf gegen die indischen Stämme zu gewinnen. Jussuf Abigail hatte sich schon in seiner frühesten Jugend geübt im Wurf des Bumerangs, und es bemächtigte sich in jedem Feindesheere eine Furcht, wenn man des Maliks sichelförmige Holzwaffe über die Köpfe sausen hörte, bis sie den Gehaßten traf. Oft flog der besiegte abgerissene Rumpf geschnellt vom stumpfgebogenen Holzmond durch die Lüfte vor Abigails Füße. Aber Er, der liebende, knabenhafte Kaiser litt unter der Sicherheit seiner Urwaffe, oft schluchzte er noch lange seinem siegreichen Wurfe nach. Die Häuptlinge wußten schon, wenn Oßman, der ewige Knecht, sie, die wilden Juden, beim Sonnenaufgang in das Gemach ihres Maliks rief, Ihn zu trösten. – Eine Weile, bevor die Arier die süße Stadt erreicht hatten, hing Bulus, des Kaisers zwölfjähriger Bruder, Sich schmeichelnd an Ismaël, des auserlesenen Negers greisen Oheim. Der ehrwürdige, alte Palastdiener hatte den kaiserlichen Großknaben wie einen Enkel lieb, und Bulus Herz schaukelte gern an der starken Rippe lauschiger Geborgenheit des Nachtsomalis, dessen Haupt fast die Breite der Palmenkrone überbot. Den jungen Mïr plagten wieder nationale Fragen des Palastes. Ganze Tage hatte er in einer Kammer im Erdgeschoß zugebracht, in alten, eingebauten Schränken nach abendländischen Kleidungsstücken gekramt. Er fand dann endlich einen Ulanenhelm, der sein halbes Gesichtchen verschwinden ließ, und einen verrosteten Säbel, den er sich an seinem Perlgurt befestigte, und in ein Paar grauen Lederhandschuhen, die von dem Leipziger Herzog herrührten, ertranken nun seine Kinderhände. Inständig bat Bulus seinen alten Freund Ismaël, legte seinem Namen Koserei um den Hals. Ismaëlmemed versprach dem geliebten, kleinen Mïr, auf seines Bruders Sohn, den Oßman zu wirken, wenn der am Morgen dem kaiserlichen Herren die Nasensmaragden einschraube und mit [60] Perlen sein Haar schmücke, Abigail anzuraten, beim Empfang der abendländischen Krieger abendländische Tracht anzulegen. Bulus schämte sich aller weichen Zierde, und in den goldverbrämten Mänteln und Ohrgehang und Muschelgürteln seines regierenden Bruders und der Häuptlinge, und der Kleider aller Männer und Jünglinge des Morgenlandes empfand der kleine kaiserliche Auflehnende beschämende Schwäche. Der greise Ismaël teilte des Knaben Sympathie für die Sitten des Abendlandes, da er an seinen Weinen gerochen hatte in der Zeit, als der heitere Vizemalik, der Maltzahner von Leipzig, in Theben regierte. Der hatte sich in Fässern den Rebensaft aus dem Mosellande kommen lassen und betreute den friedvollen Ismaël mit dem Abzapfen des Weins. Die verbotene, pochende Beere war beider Privatgeheimnis und einzige Sünde gewesen wider die Gesetze des Morgens. Wenn nun alle schliefen im Palast, schlich sich der unverbesserliche Somalizecher in das unterirdische Gewölbe des großen Vorraums und zechte manchmal bis zum Morgen vom verbotenen Inhalt der noch lagernden Fässer. – Vor dem Fenster des Malikgemachs zwischen hohen, feinen Gräsern saß Bulus auf den gepolsterten Schultern des treuen, alten Freundes, das Erwachen des Basileus zu erwarten. Der lag gebogen wie die Mondsichel auf seiner Kissen schwerer Wolkenseide. Er war nach durchwachter Nacht im lebhaften Gespräch mit seinen wilden Juden fest eingeschlummert. Seines Bruders Ruben Rat vermißte Jussuf schwer in der Art der Ablehnung seiner Stellungnahme an dem Weltkrieg. Abigail Jussuf war fest entschlossen, unter keiner Bedingung sich an dieser Menschenschlacht zu beteiligen. Auch fühlte der Kaiser irgendeine spielerische Verwandtschaft mit dem König der schwarzen Berge, der den Frieden hatte herbeiführen wollen aus väterlicher Liebe für sein Volk und darum auch aus väterlichem Verständnis für die fremden Völker. Diese Meinung teilte Mordercheï Theodorio, des Maliks erster Großhäuptling, der Sohn seines Turiner Vaters. Ein Weinberg auf Rollen bewegte sich dieser wilde Jude ungeheuer süß vor dem Thron Thebens und stark in der Blume. Abigail verehrte ihn [61] unbändig. Dieser Mordercheï Theodorio und Calmus Jezowa, ein Mann mit gütigen Priesteraugen und milder Freudigkeit, waren die letzten der Häuptlinge, die den Malik in der Frühe verließen. Gad, Asser, Mêmed und Salomein wandelten schon kurz nach Mitternacht auf Raten Jussuf Abigails heim. Asser trug eine Verwundung durch einen Dorn der Rose auf der Wange, die den Kaiser im Anblick der Anmut Assers störte. Den herrlichen Jüngling beschenkte der Malik mit Haarperlen und allergold Damast. Nur daß Assers Herz am Wesen der Frauen hing, verargte vielfach die Freude des Kaisers an seinem Häuptling. Denn Jussuf Abigail verbarg seine Abneigung gegen alles Weib, schon als Prinz von Theben. Und die geraubte Venus von Siam [62] betrachtete er nur wie ein unvergleichliches Kunstwerk. »An dem starren Kultus, den der Malik um seine Mondfrau baut«, so nannten die Menschen in Theben die siamesische Venus, »wird sie zu Alabaster werden.« Mêmed hatte Verständnis für des Kaisers Abneigung gegen Eva; trotzdem gerade das Himbeerträumerische in Jussuf, die Farbe der Prinzessinnenseele, ihn entzückte, aber er wagte nicht, die Beeren der Sträucher Seiner Seele zu pflücken. Manchmal begleitete er Ihn alleine auf den Hügel der Stadt; dort betete Jussuf Abigail so gern zu Gott. Die großen Vögel setzten sich dann zu Ihm. Sie verstanden die abgebrochenen, wilden Laute Seines Flehens. Er eine goldene Flügelgestalt unter ihnen. Am Abend aber begleiteten den Kaiser außer Mêmed noch seine beiden anderen jungen Gespielen, die Häuptlinge Gad und Salomein auf eine Wiese, die hinter dem Garten des Palastes lag. Mêmed legte sich immer einen Kranz ins Haar, und Salomein, Jussufs treuster Häuptling, trug in seinen dunklen Augen dem Malik ewig sein blaues Herz schwärmerisch entgegen. Seiner Stirne Mitten schmückte ein Stern. Die vier hohen Menschen spielten sorglos wieder Spiele ihrer Kindheit. Auf Brettern, kreuz und quer gelegt, schaukelten sie auf und nieder und übten sich im Bogen und Pfeil, die sie selbst aus Bambusrohren schnitzten.

Der Malik
[61 (»Jussufs Häuptlinge«)]

Als der kleine Kaiserliche Bulus, Jussuf Abigail wieder mit Bitten bedrängte, Ihn an Seine hohe Gastfreundschaft erinnerte, die Ihn zwinge, die Farbe der fremden Soldaten bei ihrem Empfang anzulegen, befahl der erregte Malik Seinem Knecht, der auf den Augenblick gelauert hatte, da ihm das Grau des Abendlandes mißfiel, den jungen Mir gewaltsam zu entfernen. An diesem Morgen fiel die erste, ernsthafte Meinungsverschiedenheit zwischen den hohen Brüdern, die sich gegenseitig stürmisch zu verehren pflegten. Aber Bulus trug nunmehr eine kleine Verachtung in seinem klaren, braunen Knabenauge offen zur Schau, die den Kaiser reizte. In einem goldenen Mantel saß Der auf dem Thron zu Theben wie in Seiner letzten Haut, die Mondsichel und den Stern in Rotfarben auf der Wange gemalt. Die bunte Stadt [63] Theben hatte sich im Hause Jussuf Abigails um Ihn versammelt; den Kaiser beschäftigten gegenwärtig nur Seine Häuptlinge und Ruben, Sein milder Bruder, und gedachte seiner so stark, daß Ihm das Zepter entschwand oben auf dem Prunkhügel des Riesengemachs. In derselben Stunde, an der sich plötzlich Jussufs Wesen weich verlor, traf der Fürst Marc von Cana in der Heimat ein. Der Großhäuptling Mordercheï Theodorio bemerkte die seelische Abwesenheit seines Kaiserlichen Freundes und gab dem säumenden Malik ein freundschaftliches Zeichen, indem er die zum Throne geneigte Stirne, sein Mordercheiherz und seine Lippen grüßend betastete. Da traten die Ritter in den Maliksaal. Zwi ben Zwi, der Sohn des Tamm und der Miëne, der seinen abendländischen Gästen vorausgeeilt war, erwartete unerkannt zwischen den feierlichen Menschen Tibas auf dem Riesenfuß einer überlebensgroßen Figur sitzend mit dem Schiefer und dem Griffel, die arischen Soldaten. »Beim Anblick des großen Bumerangwerfers«, schrieb der Geschichtsschreiber, »schneiten die blühenden Wangen der Ritter.«

Der Malik
[64 (»Der Roland von Berlin | (Wieland Herzfelde)«)]

Dem erschütternden atmenden Denkmal aus Blutstein näherte sich in der Rolle des Rolands von Berlin und als Anführer der Botschaft: Wieland Herzfelde. Sein Bruder Wetterscheid versuchte betroffen, den voreiligen Entschluß seines kecken Bruders zu vereiteln, indem er den Zipfel seines Mantels ergriff und abriß. Diesen Vorgang gewahrte Abigail und lächelte. Und sein Lächeln glich immer einem holden Bach im finsteren Garten. Nicht wie bei öffentlichen Empfängen sonst üblich, erwartete der Malik das Zeichen des Schellenstocks; rührend klang Sein Anliegen auf lallender arischer Sprache, die Lage des ernsten Augenblicks verachtend: »Kann Mir einer von euch sagen, ihr lieben Ritter, wo Giselheer Mein Nibelunge weilt?« In der Mitte des Vorraums tanzte ein Tänzer wie eine Schlange beweglich nach der eintönigen Musik der Holzinstrumente. »Aber ich«, schrieb Zwi, »hörte verhärtete Stirnrunzeln einiger Thebetaner knarren.« Und Jussuf Abigails spielerische Menschen erröteten im Angedenken der Schande, die ihnen einst ihr damaliger [64] Prinz Jussuf bereitet hatte, da Sein selig Herz den feindlichen Arierfürsten umgaukelte während des Krieges Ernst. Aber den grauuniformierten Fremdlingen entging die gefährliche Lage, die des Kaisers Ansehn bedrohte, die waren durch Seine Menschlichkeit aus ihrem Bann erlöst und beantworteten aus einem Munde die leidenschaftliche Frage Jussufs nach Seinem Herzgefährten, der immer als Nibelunge in Seinem Gedächtnis maiblühte. Schill, der pflichtgetreue Kürassier, der seiner Schüchternheit wegen von seinen Kameraden verspottet wurde, trat beherzten Schritts aus der Mitte der Soldaten dicht vor den Thron, wiederholte noch einmal, daß Giselheer der Nibelungenfürst in Flandern stehe und – setzte er bedeutungsvoll hinzu, sich verzweifelt gegen die Indierstämme behaupte. Aber Calmus Jezowa, der weise Wildjude um Abigail Jussuf, konnte sich ein Lächeln nicht ersparen; Asser und Gad und Mêmed Laurencis fürchteten um ihren Liebeskaiser, und schonend um Jussufs Schulter legte Salomein seinen Arm. Nur Morderchei der Riese vertraute der Klugheit und dem Hochgefühl seines stolzen Spielgefährten. Auf dem Fuß des Saales entfiel der Hand des Malikschreibers der [65] Griffel. Abigail, der den Knaben längst bemerkt und wiedererkannt hatte von seiner Wallfahrt her zum heiligen Freunde, rief dem jungen Manne aus Irsahab zu: »Hebe deinen Griffel auf, Sohn des gottesfürchtigen Tamm und der guten Miene und schreibe nieder, daß der Kaiser Abigail Jussuf Seines Levkoienherzens Liebe, Seines Liebesherzens Levkoie opfere, denn er habe beschlossen, Seine teuren Brüder nicht zu führen in den abendländischen Krieg.« Viele der Thebetaner weinten, fielen vor ihrem Jussuf nieder, streichelten sein Gewand und die, welche sich näherten, Seine Hände und Seine Füße zu liebkosen, hob Er zu Sich empor und küßte den Schlichtesten auf den Mund, so daß der zu Seinem Ansehn wurde.

Der Malik
[nach S. 64 (»Helgalâlâh | Bulus der Emir von Tiba und seine Braut«)]

Nur des Kürassiers Schills Unzufriedenheit bemerkte der Malik mit vornehmer Zurückhaltung und billigte dessen Kaisertreue, die den Soldaten zu einer List verführte gegen – Ihn – Abigail. Und Er betonte, daß Er seinen Kaiserlichen Herrn mit ganzem Herzen bedaure, wie Ihm Zebaoth gebiete, dem blutenden Länderhandel fern zu verharren. Abigails weiche Stimme wuchs dunkel in den Urwald, »aber mir«, berichtete der Schreiber, »entging kein Wort des Throns«.

Einige von den Rittern baten den Kaiser, Sich über den Weltkrieg zu äußern. Aber der hellseherische Malik ahnte, wen der Tod von den stürmisch Fragenden bald brechen würde, und er vermochte Sich nicht gleich zu sammeln; betrachtete schmerzlich den goldlockigen Tristan, richtete zarte Worte an Caspar Hauser, erkundigte Sich bei Roller ernsthaft nach dem von Ihm so hochgeschätzten Carl von Moor, den er wahrhaft in Sein Herz geschlossen habe. Und ob Schiller mit Goethe noch befreundet sei? Der Roller konnte ein Auflachen nicht verkneifen, ebenso erging es von Hutten, der mit dem Geschichtsschreiber, welcher ahnungslos diesen Maskenstreich auf dem Gewissen hatte verständnisvolle Blicke wechselte. Aber auch sehr viel herzliches Interesse zeigte Jussuf Abigail für Friedemann Bach und den Grünen Heinrich. Grimms Bäuerlein beguckten Sich der betrogene Malik und Sein Brüderchen wie zwei kleine, neugierige Buben.

Der Malik
[66 (»Grimms Bäuerlein.«)]

[66] »Ihr habt das von Gott Euch anvertraute Abendland nicht liebevoll genug gepflegt, wie wäre sonst aus seiner schattigen Eiche eine kühle Formel geworden.« Der Kopf des Erdbildes habe sich verschoben, meinte der Basileus, und verwirre die Gehirne der Menschen.

Der Malik erzählte von dem fürchterlichen Gesicht, das Er einige Tage vor dem Kriege gehabt habe. Ihm habe geträumt, Er wäre der Kaiser Wilhelm gewesen und drei Riesenschlangen seien seinem Lager entstiegen, die Gescheckte neigte sich, Ihn zu beißen, als Er jäh erwachte und gerettet war. Seinem Halbbruder, dem klugen Fürsten Marc Ruben von Cana habe er damals Seinen Traum berichtet, worauf der große Häuptling den Krieg prophezeite. Als Bulus, des Maliks Bruder, den Namen Ruben vernahm, klatschte er in die Hände, so liebte der Knabe ihn. Jussuf ließ gerührt den kleinen Bulus von Oßman vor den Thron holen, stellte ihn, der von Beginn der Zeremonie an, die Züge der Soldatengesichter befriedigt beobachtet hatte, den Rittern mit den Worten vor: »Seht diesen süßen Schelm, Sittis, er ist mein kleiner Bruder Bulus der Mirmêmed, mit diesem hättet Ihr sicher keine Enttäuschung erlebt.« Seine steingeschmückte Waffe zeigte er jedem der Krieger und dem Roland von Berlin, der sich mit dem jungen Fürsten sofort verständigte, zog er das Schwert aus der Seite und prüfte seine Schärfe und Wetterscheid bettelte er um Patronen an für seine Sammlung, doch der friedliebende Bruder Rolands legte Böses abwehrend seine Hand über des kleinen Emirs Haupt.

[67] Aber auch der Lederstrumpf, der abseits, für sich alleine während der Festlichkeit, menschenfeindlich in bitteren Gedanken an einer Säule des Maliksaals knurrend gestanden hatte, erhellte sich plötzlich im leuchtenden Anblick des Kaiserlichen Knaben. Manchmal schimmerte Seine Haut wie Goldperlmutter. Und Lederstrumpf äußerte sich später zu Mordercheï Theodorio, nie habe er im Leben einen schöneren Menschen gesehen wie den kleinen Mïr. Theodos und Bûl aber mieden sich, wenn auch in höflichen Katzensprüngen; und Abigail, der diese Feindschaft nicht ernst nehmen wollte, belustigte Sich über die unbegründete Abneigung der beiden, aus der sich unerwartet der Schmetterling, die versöhnende, glückliche Begegnung, entpuppen würde. Im Begriff, die letzte Stufe seines Thrones herabzusteigen, stolperte der Malik, und noch ehe Oßman, Sein Knecht, Ihm Hilfe leisten konnte, fing Ihn einer der fremden Ritter in seinen Armen auf, »der Tristan«, und entbrannte vor Liebe zu Jussuf. Am selben Abend nach dem bewillkommenden Mahle, an dem des Basileus Herz berauschender süßte als der Most, den Er pressen ließ für seine abendländischen Gäste aus den schweren Trauben der Berge, glitt der Gralprinz wie ein Lichtstrahl an der blauumgürteten Leibwache des Maliks vorbei, überwältigte Oßman und drang in Jussufs Gemach. Der war gerade damit beschäftigt, dem Herzog von Leipzig die Eindrücke zu schildern, die Seine uniformierten Gäste auf Ihn hinterlassen hatten. Und in Seiner Vertiefung und Sehnsucht nach Seinem unersetzlichen Ratgeber, dem Vizemalik, gewahrte er den Liebesritter erst, als der Ihn, den Jussuf, schon mit seinen starken Soldatenhänden gepackt hatte.

Und der Malik, der von jedem noch rein erhaltenen, ursprünglichen Gefühl überwältigt wurde, suchte nicht allein den unerhörten Vorgang zu vertuschen, »er habe sogar versucht, aus Bewunderung vor diesem ehrlichen Augenblick die Liebe des heiligen Ritters zu schüren«. Der brach dem Jussuf vor Liebe eine Rippe in der Brust, wie einen der Äste des Elfenbeinbaumes. Noch in der Nacht aber rief man von den Dächern die Stadt wach, erzählte [68] den Unfall, der den Malik betroffen habe beim Handwettkampf mit Mêmed Laurencis, mit dem Sich der Kaiser so gerne der Stärke übte. Doch Laurencis saß mit den anderen Häuptlingen friedlich um ihren Angstabigail, wie sie Ihn zärtlich zu nennen pflegten, und sie verhätschelten Ihn. Ein paar alte Weibchen hatten sich in Theben eingeschmuggelt, schwätzten den Leuten die Ohren schmutzig, boten den edlen Töchtern Thebens Liebesharz feil und drängten sich an die abendländischen Ritter. Doch das dreiköpfige, glatte Gezücht wurde ergriffen und gehängt. Aber Zwi ben Zwi, der Sohn des Tamm und der Miëne, schrieb vom Malik von Theben, »immer wieder von neuem sammele Jussuf die Liebe aus dem Kelch der Herzen; um die der abendländischen Ritter gaukele das Silberseine«. Noch tiefer, wie es Sich Abigail, der Kaiser, gestehen wollte, schmeichelte Ihm der Antrag der hohen Fraue von Hohenhof, der Reichsgräfin Gertrude zu Osthaus von Westfalen. Ihre Tochter Seinem geliebten Bruder zum Weibe zu geben, war Abigails Herzenswunsch. Immer wieder ließen Sich der Malik und der jugendliche Mïr das Bild der lieblichen Prinzessin Helga von dem Liebesboten repräsentieren und hatten lange schon die holden Grübchen, goldene Bächlein ihrer Wange entdeckt. Noch zwei Frauen des Abendlandes sandten dem Malik ihre Liebe und Verehrung: Frau Paula Engeline, die sanfte, dichtende Lebensgefährtin des von Jussuf so bewunderten Dichterfürsten Richard Dehmel, dessen Dichtungen Er einst mit dem Kalifenstern ausgezeichnet hatte. Paula Engeline beschützte das Flackerlicht von Horeb – so nannte sie den fernen, ungestümen Malikprinzen – mit ihrem Flügel. Ähnlich wie diese hohe Frau empfand Hellene, die Herrmannin, den goldverbrämten Kaiser, jeder Gedanke an Ihn trug Seine Lieblingsblume im Haar.

Die Ritter, welche sich wieder um Abigail versammelt hatten, baten Ihn, sie nicht unverrichteter Dinge ziehen zu lassen. Und sie erzürnten den Kaiser mit dieser aufs Neue aufgeworfenen Frage. Ob sie den Entschluß eines ägyptischen Kaisers von einer willkürlichen Laune abhängig glaubten oder ob man Ihn nicht ernst nähme?!! Und Abigail, dessen Vorhaben es gewesen war, [69] Sich würdevoll und gleichmäßig den arischen Kriegern gegenüber zu verhalten, bäumte Sich wie eine Welle, wurde wildes Wasser, rasender Ozean, und seine erschrockenen Gäste mußten sich gestehen, nie einen wilderen Gemütssturz je erlebt zu haben, und sie nannten Ihn heimlich unter sich den Tagâr, wie die thebetanischen Uferleute das reißende Wassertier nennen, den Wasserjaguar. Thron, Zeremonie und Krone schwammen auf der Hochflut Seines Blutes. Mordercheï war stolz über solche unbedachten Augenblicke, sehr stolz auf Seinen Kaiser; ein Dichter war Theodorio, seine politischen Erkenntnisse gingen wie seine Verse mondrot in seinem Herzen auf und beleuchteten horizontisch die Vorgänge. Calmus aber meinte, sein geliebter Prinz und Basileus habe Sich wieder undiplomatisch hinreißen lassen, aber das gezieme Jussuf. Calmus Jezowa vertrat im thebetanischen Zebaothtempel das Amt des hohen Priesters; Jussuf hing an seiner wohltuenden Milde wie im Mittag. Gad, mit dem der Kaiser oft über die gute Sitte plauderte, vertrat die Ansicht, daß ein Basileus Sich in jeder Lage des Lebens beherrschen müsse, aber Mêmed Laurencis trug triumphierend den verblüfften, bekrittelten Kaiserlichen Spielgefährten in seinen Armen von dannen über die Pfade der Rosengärten; ihnen folgte Asser im neuen Prunkmantel, er hatte sich in die Schwester eines der Ritter verliebt, die ihren Bruder nach Theben begleitet hatte, den Jussuf ihrer Träume zu schauen.

Urägypter, Goldmorgenländer war Sein treuester Häuptling Salomein. Er galt für hochmütig und verschlossen. Über Theben erblickte er am Himmel der Stadt durch seine Farben seinen Jussuf, dessen Bild er trug im Stern seiner Stirnmitten. Als ihn einmal Thebetaner nach den arischen Soldaten fragten, sagte er ihnen zur Antwort, er habe nie einen arischen Soldaten gesehn. –

Der Malik hielt sich nach der kleinen Mißstimmung zwischen Ihm und den abendländischen Gästen eine Weile vor ihnen verborgen; aber Er beauftragte Oßman, den Rittern die Sehenswürdigkeiten der Stadt zu zeigen. Und der Somali führte die Krieger in den großen Malikturm. Die kleine Karawane kletterte unzählige [70] Stufen der Treppen in die Himmelshöhe; als Letzter Ismael, der greise Oheim Oßmans, mit dem kleinen Mïr auf den Schultern; diesem folgte die vornehme Leibwache des Maliks. Über Weizenfelder und Zitronenwälder flogen die Augen der Angelangten. Des Somalis spitzgeschliffene Zähne lachten. Sitti Ismael, wie der Kaiser den Oheim des Lieblingsnegers seines hohen Alters wegen ehrerbietig von jedermann genannt wünschte, hatte vom Maltzaner Herzog etwas abendländisch gelernt, erzählte den Soldaten die Vorgeschichte aus jedem Hause der unvergleichlich blauen Stadt. Nicht wenig waren die Arier überrascht, als sie plötzlich auf dem weiten Spielplatz Jussuf Abigail erblickten im Kriegerschmuck; alle Farben Perlen sangen um Seinen Leib, Ihn umgaben Thebetaner in Kampftracht. Der Malik schien keinen der Zuschauer oben auf dem Turm Seiner Stadt zu bemerken, und Oßman riet schalkhaft den Soldaten, sich ja unauffällig zu verhalten. Der hohe Bumerangkrieger schleuderte Seine hölzerne Mondsichel leicht, fast virtuosenhaft durch die Luft und fing sie wieder auf im großen Kreis, jedesmal mit hellem Kriegsgeschrei, das von Seinen Getreuen begleitet wurde. Beim Mondaufgang begegneten dem wilden Kaiser Seine abendländischen Gäste im lebhaften Gespräch, erröteten noch vor Entzücken in der Erinnerung des erlebten Schauspiels. Der Roller meinte derb zu Hutten gewandt: »Bei Dem wär kein Indier übrig geblieben.« Abigail vernahm diese Schmeichelei und es hob Seine Eitelkeit. Schloß sich den uniformierten Gästen bei ihrem Spaziergang an, schüchtern lächelnd, die stritten sich um den Gang an seiner Seite. Die beiden Brüder Roland und Wetterscheid und deren Freund Maria von Aachen, »Karls Sohn«, hatten schon ganz vergessen, warum sie in Jussufs Stadt gesandt wurden, so überaus glücklich befanden sie sich hinter den sieben singenden Säulen, darum sie Schill rügte aus diensteifriger Gewohnheit. Der Roland von Berlin und Heinrich Maria stiegen beherzt über den Zaun in den Garten, hinter dem das Prunkgemach des Maliks lag. Der säumte in Gedanken der Morgenfrühe nach, hing wie eine schwermütige Dolde am Traum der [71] heißen Welt. Roland, der aus seidigen Papieren Monde und Sternlein zu schneiden verstand, reichte zärtlich dem erwachten Kaiser diese kindlichen Gaben mit lieben Verschen beschrieben und Maria, Karls Sohn, schenkte dem Jussuf einige Heiligenbildchen, die er gemalt hatte im geschnitzten Rahmen; und der Kaiser ließ Sich von ihm diese Ihm fremde Malerei erklären, bewunderte seinen Mahagonikopf; fast blau wirkte auf Ihn die glänzende Dunkelheit seiner Haare, ebenso blau wie Rolands glückliche Augen waren. Und er sprach diesen neuen Freunden von Seines Herzens Alleinsein, von Seiner heimlichen Liebe zu Gisel, dem Arierfürsten. Und Roland mit seinem guten Kindergemüt vergaß jede Schranke, patschte mit seinen Händen liebkosend über Jussufs Wange und so trösteten die beiden fremden Soldaten Ihn, den mächtigen, hilflosen Malik. Von ferne sahen Ihn die Häuptlinge scherzen mit den Abendländern, Mordercheï und Lederstrumpf schlenderten herzlich befreundet an den Menschen Thebens vorbei, hielten sie an und Lederstrumpf erzählte ihnen von Wild West und seinen Rothäuten; seine Abenteuer schlichen um aller jungen Thebetaner Köpfe. Ihm, dem Kaiser, war Lederstrumpf im Begriff, die kleinen bunten Häuser Thebens in miniatur als Spielzeug aufzubauen und zu bemalen. Aber dennoch mißstimmte Abigail der Erfolg, den Lederstrumpf sich in Seiner Stadt erwarb; auch seine Verbrüderung mit einem Seiner Häuptlinge ärgerte den eifersüchtigen Kaiser und Seine Eitelkeit litt unter der Vernachlässigung Mordercheïs. Abigail beanspruchte Seine Freunde für Sich. Wenn Er nicht selbst eine Vorliebe für den bitter-phantastischen Wildwestabenteurer empfunden, hätte er Theben geschlossen, wie Er mal kurz und kindlich zu Theodorio vorwurfsvoll Sich äußerte. Einmal begegnete Oßman dem Kaiser in der Nacht, als er im Begriff war, ins Gebäude der fremden Krieger zu dringen. Der Somali fühlte instinktiv, was Jussuf Abigail veranlaßte. Er hatte Sich in diese neuen Menschen verliebt und beabsichtigte, sie zu verführen, in Theben zu bleiben. »Ich warne Dich, Jussuf Abigail!« so sagt der Neger.

Der Malik
[73 (»›Ich warne dich Abigail Jussuf‹; so sagt der Neger.«)]

Das seltene Abenteuer, das Roland von Berlin und sein Freund [72] Maria mit dem Malik erlebt hatten, zu verschweigen, riet ihnen der zartfühlende Wetterscheid. Aber schon am selben Tage wußten es alle die Kameraden und drängten sich an Oßman heran, ihnen die Möglichkeit zu bieten, seinem Malik irgend bei einer unverhofften Gelegenheit zu begegnen. Das erfuhr der empfindsame Kaiser und ließ den Roland ins unterirdische Gewölbe zu den Mumien sperren, daß er von diesen das Schweigen lerne. Aber Heinrich Maria, sein Freund, durfte ihm stumme Gesellschaft leisten. Einige Male zur Tageszeit aber ließ der Kaiser den beiden gefangenen Scheintoten ihre Lieblingsspeisen in den Tartaros reichen, wünschte Ihnen guten Appetit.

Die Nachricht von dem plötzlichen Tode Pitters, des Herrn von Elberfeld, auf dem Schlachtfeld im Frankenlande durchfuhr den Malik ebenso jäh wie den abendländischen Soldaten. Der Malik und dieser große Dichter hatten Briefe und Wünsche gewechselt von ihrer ersten Knabenzeit an und waren gute Kameraden geblieben. Abigail eilte selbst ins Gewölbe der Mumien und teilte die Trauerbotschaft Seinen lieben Gefangenen mit und holte sie wieder ans Licht und sprach zu ihnen: am liebsten würde Er Pitters Leib im Morgenlande einbalsamieren und erhalten lassen wie die Mumien in Sarkophagen an beiden Seiten der Kaiserstätte.

Im Namen Seiner Herrlichkeit aber waren durch Zwi, den Jussuf Abigail zum thebetanischen Stadtschreiber erhoben hatte, schon Einladungen an die Nachbarhöfe der Malikstadt ergangen. Seinem inniggeliebten Freund Daniel Jesus sandte der Malik Seine Lieblingsdromedarin entgegen nach Mareia, der Stadt, die Er benamet hatte nach Seines Halbbruders Weib. Repps Sattel gehörte zu den Kostbarkeiten Tibas, ein Geschenk des Muskatplantagenbesitzers, der sich schon bei der Thronbesteigung des Prinzen Jussufs hervortat und Ihm den goldenen Thron spendete. Auch Ramsenit von Gibon wurde besonders geehrt. Im besten Einvernehmen begrüßten sich die beiden Edelägypter nach kleinen, überwundenen Streitigkeiten, die der schöne Pharao schlichtete, indem Er versöhnend Seinem thebetanischen Spielkaiser die Sommerelefantin, die grüne Diwagâtme, nach Tiba [75] überführen ließ, (Jussufs heimlichen Wunsch erfüllte) und mit ihr als Symbol Seiner großen Opfergabe scherzhaft auf einer Bahre Sein zerstampftes Zuckerherz übersandte.

Ruben, des Maliks Bruder, war Ihm schon wieder, wie sich Abigail Jussuf bitter äußerte, trotz inständigen Flehens, im Lande Cana zu bleiben, entkommen, von Führern in den ungläubigen Krieg der Christenhunde gezogen. Er hatte beschlossen, auf der großen Festlichkeit zu Ehren der Ritter Seinen teuren Bruder, den Emir, gefangen nehmen zu lassen und wenn Er Sein Leben dafür hätte geben müssen. Wieder richtete sich sein Zorn gegen des großen Bruders Weib. Nicht, daß Er irgend zu Vorwürfen berechtigt gewesen wäre, aber Er zerriß in Seiner unbändigen Art Mareias unschuldige Bildnisse. Knurrend sprach er von der milchweißen Sarah, die sich so viel Macht über Abraham erwarb. Die hörte von Abigails Ingrimm und sandte Ihm durch Boten ein vorwurfsvolles Schreiben – Abigail, daß du deinen Bruder nicht besser kennst! Die schlichten Worte beschämten den Malik; so gerne hätte Er irgendeinem Menschen die große Schuld aufgeladen, da Er sich in den Nächten um das Leben Seines teuren blauen Reiters bangte. Aber da Er – Sitti – war, kam Ihm die rücksichtslose Beschuldigung gegen eine Frau peinigend zur Besinnung. Wieder suchte der reuevolle Abigail Sein Vergehen gutzumachen; Sein Herz hatte Mareia lieb, und er schenkte Seines Bruders Weib Perlen, so rosazart wie das Fleisch junger Pfauen. Aber diese Liebesgabe griff tief in die Schale Seines Privatvermögens, das sich durch die Pracht Seiner Launen schon empfindlich verringert hatte. – Am Morgen der lächelnden Äcker erhob Abigail Jussuf Seinen Neger Oßman zum dritten Male zum Malik von Theben. Salbte ihm demütig die Ebenholzfüße und setzte die Spielkrone, die Ruben Ihm, Seinem Jussuf, gegossen hatte, dem schwarzen Knecht aufs edle Haupt. An diesem bedeutungsvollen Tage hatte der Basileus für Seine ritterlichen Gäste das Fest bestimmt, Seinem treuen Somali zu Ehren, aber auch im heimlichen Gedanken, Seine Sehnsucht als einfacher Thebetaner freier entfalten zu können. [76] Oßman, der nun schon einige Male den Thron von Theben bestiegen hatte, trug in Wahrheit majestätische Gelassenheit, vergoldet in Blick und Gebärde. Er empfing nach Mitternacht schon eine kleine Gesandtschaft älterer Thebetaner und Irsahabaner, auch eine Frau aus Mareia in Mannstracht, die sich Milïla nannte und ein Anliegen an Abigail Jussuf, dem Somalimalik, unterbreitete. Der versprach der Verkleideten, die er mißtrauisch beschnüffelte, ihre Wünsche zu übermitteln. Die heimlichen Männer aber aus Irsahab und die aufgereizten Väter Thebens versuchten, wie der Fürst von Cana prophezeit hatte, den zum Basileus erhobenen Knecht gegen seinen gnädigen Herrn zu empören. Einige dieser Verräter ließ Oßman bei lebendigem Leibe in den Küchenräumen braten; die dampfenden Gerichte durch die Straßen und über die Plätze Thebens tragen, daß die Hunde gierig heulten und die Katzen vor Grausamkeit schrien. Die Ritter waren gerührt über die Treue des großen Knechts und Sie feierten ihn wie den heiligen Mohrenkönig.

Da die abendländischen Soldaten aber ihren hohen Gastgeber unter den vielen frohen Menschen nicht gewahrten, bezogen sie Jussuf Abigails Abwesenheit beim Mahle auf Oßmans Krontag und des Kaisers Taktgefühl. Und sie erkannten Ihn nicht unter den Spaßmachern in Seiner grüngestrichenen Flachsperücke. Die siamesische, geraubte Venus saß statt Seiner auf dem Seidenkissen zwischen den Großhäuptlingen Mordercheï und Calmus Jezowa auf dem kaiserlichen Häuptlingsplatz, der stets für Jussuf bereit gelassen wurde. Der war es selbst, welcher die Heilige behutsam auf Zehen wie eine smaragdene Ampel aus ihrem Tempel getragen hatte, – »aus Gold und grünem Licht« – dachten die Ritter; Grimms Bäuerleins Sohn blieb der Bissen im Halse vor Überraschung stecken, als er die seltsame Gottfrau erblickte. Aber zwischen den Gauklern bewegte sich Abigail Jussuf in tollen Sprüngen nach den Eintönen einer Bambusflöte; dessen Zauber wohl die Ritter süß beträumte; doch tieferes Verständnis, meinte später Salomein hochmütig im Gespräch mit den abendländischen Soldaten, müsse ihnen abgehen für diese [77] Musik, die wie die Sprache ein Gewächs des Landes sei. Nach dem Mahle bestürmten die abendländischen Offiziere die Häuptlinge, Jussuf Abigail zu holen. Um Oßman, der vom Trank des gelben Goya berauscht eingeschlafen war, hielten sich Sitti Ismaeloheim seinen ehrwürdigen Bauch vor Lachen, und Bulus weckte den müden Oßmanmalik mit der Spitze seines kleinen Monddolches auf, daß der arme, dunkle Kaiser begann, Stechfliegen im Traume auf seinen Schulterblättern zu erschlagen. Vor dem Palaste in den Wandelhallen bewegten sich die Frauen Thebens, manche ließen ihr Gesicht mit dem leisen Winde spielen, viele hatten Augen wie Mandeln oder wie Nachtschatten, oder sie schimmerten bunt und sanft wie der Fluß, an dem Thebens Wange lag. Um die Spaßmacher drängten sie sich, klatschten kindlich in ihre unschuldigen Hände, den unnahbaren Kaiser unter den Geringsten der Stadt nicht vermutend. Immer nur in Gala oder tief verschleiert hatte sich der Malik den Frauen Tibas gezeigt, und die glaubten an die Sage, daß Jussuf sie verachte noch seit Potiphars Weib. Schlangen ließen die Gaukler tanzen, aßen Glas und schluckten Steine wie die Strauße im Garten. Die Gäste zu ergötzen, schwang sich der Malik über die Geländer der Galerien der Pavillione, kletterte den Stamm einer Bambusstaude empor und schaukelte auf dem Gipfel reitend in weitem Bogen auf und nieder. Jedesmal, wenn das biegsame Rohr wie ein Pfeil wieder zur Höhe glitt, schrien die Ritter vor Entsetzen auf und die Häuptlinge befanden sich in banger Verzweiflung, aber da sie ihrem Spielgefährten nicht das Spiel verderben wollten, sein Inkognito nicht zu lüften wagten, schüttelten sie den schwarzen Kaiser Oßman gewaltsam aus seinem Schlaf, der brüllte jäh, ein Alp abwälzend, Jussuf Abigail am Himmelstor plötzlich erblickend, seinen Namen und fing den zur Erde schwingenden kaiserlichen Gaukler in seinem Prachtmantel auf.

Nun hatte Jussuf alles erreicht, was Er wollte, denn niemand war auf dem Feste, der Ihn nicht seines mutwilligen Streiches wegen liebte. Ramsenit von Gibon vor allem begeisterte sich wieder aufs Neu für seinen tollkühnen Spielgefährten, und die [78] Ritter trugen Jussuf auf ihren Schultern in seine Privatgemächer, wo für Ihn die Festkleiderdamaste bereit lagen; mit ihnen schmückten sie den kaiserlichen Gaukler und wechselten Ihm zur Ehre ihre graue Soldatentracht mit den berauschenden Gewändern des Morgen. Die Huldigungen der abendländischen Offiziere, die den bangen Erwartungen des kleinen Mïrs für Seinen älteren, phantastischen Bruder weit übertrafen, erreichten in der Umgewandung ihrer letzten Haut den Höhepunkt. Wie es auch den jugendlichen Bulus im Blute ehrte, so fühlte er doch, daß dieses unbedingte Verlieren in Abigails Seele und Sitte das erlaubte Maß der Höflichkeit und Treue zu ihrem Vaterlande überschreite. Jedesmal, wenn Brokatfäden haften blieben in den Silberschuppen seiner Rüstung, die Er nur statt des Rolands von Berlin angelegt hatte, traf den verlorenen abendländischen Ritter eine schmerzende Blendung seiner durchsichtigen Augen. Er trat als einziger in grauer Uniformierung fast hart und entschlossen wie ein Widersacher des Maliks unter die Gäste. Aber Mordercheï Theodorio verstand es, den Ernst mit wohlwollender Ironie abzuschwächen. Und an den sorglosen Jussuf, der für den heutigen Tag den Malik an Seinen Oßman abgeschüttelt hatte, freute sich Methusalem, der Muskatplantagenbesitzer, der sich wie ein breiter Gummiball leutselig und betreuend zwischen den bunten Menschen bewegte. Ein Narr sei er an dem Jussuf geworden, er möchte Ihn immer wie ein Spielzeug in seine Taschen stecken. Und man vermutete in dem reichen Kaufmann den Geldspender Thebens; aber dem war nicht so, seine Gaben waren immer nur ein prahlerisches Ausheben seiner bazarhaften Seele. Das wußte der Malik, und nur auf Raten Calmus Jezowas, des weisen Häuptlings, der in Methusalem doch einmal den Retter der Krone erblickte, überwand der Malik Seine Abneigung. Er trat zum erstenmal in den Kreis einiger Prinzessinnen; Leila schwärmte am tiefsten für den Kaiser; sie habe Ihn mal von ihrem Dache aus weinen sehn im Sonnenschein unter den Rosen. Aber daß Sein Körper nicht beben konnte, Sein Herz nicht tönen vor all diesen Blumenwesen, schmerzte Ihn unaussprechlich. Laurencis [79] beobachtete den Malik und holte Ihn aus seiner Verlegenheit. Aber Bulus, der kleine Mïr, Abigails geliebter Feind, tanzte mit den holden Mädchen der drei Abigailstädte, und der Malik wandte sich fast drohend an Sitti Ismael, der auf den jungen Mïr gewissenhaft aufzupassen habe, auf den künftigen Thronerben von Tiba, denn Er, Abigail, wünsche, daß Sein kleiner kaiserlicher Bruder nur mit den Töchtern der alten arabischen Häuser Waly und Montejâre und aus den edlen Judenstämmen Abarbanellâh, Davïde und Awalis tanze. Er selbst, wenn auch mit erkünstelter Höflichkeit, lächelte jeder der Frauen mit derselben ehrerbietigen Zeremonie entgegen. – Als es Abend wurde, bat Oßman, der schwarze Malik, den Goldhäutigen, ihm wieder die Krone vom Haupte zu nehmen, denn er würde zu viel angebettelt, statt daß er Geschenke empfange. Und bis es wieder hell wurde, mußte der aufs neu gekrönte Jussuf Abigail von Seiner Wallfahrt nach Seinem gefangenen Freunde im Innern Rußlands den Rittern erzählen. Das tat dem Kaiser wohl, denn Sein Herz ging immer unter schwermütig im Schoß der Goldmutter und färbte sich abendrot. Dann dachte er meist an den toten, heiligen Feldherrn Sascha von Moskau. Und Salomein erhob sich, Jussufs treuester Häuptling, und las das Lied, das der Malik an den himmlischen Königssohn gedichtet hatte.

Seit du begraben liegst auf dem Hügel

Ist die Erde süß.

Wo ich hingehe nun auf Zehen

Wandele ich über reine Wege.

O deines Blutes Rosen

Durchtränken sanft den Tod.

Ich habe keine Furcht mehr

Vor dem Sterben.

Auf deinem Grabe blühe ich schon

Mit den Blumen der Schlingpflanzen.

[80] Deine Lippen haben mich immer gerufen,

Nun weiß mein Name nicht mehr zurück.

Jede Schaufel Erde, die dich barg,

Verschüttete auch mich.

Darum ist immer Nacht an mir

Und Sterne schon in der Dämmerung.

Und ich bin unbegreiflich unseren Freunden

Und ganz fremd geworden.

Aber du stehst am Tor der stillsten Stadt

Und wartest auf mich, du Großengel.

Drei Tage nach dem Feste erwachten die Ritter und Jussufs bunte Menschen hinter silberbehangenen Balkonen und es lag ein glitzernder Hauch über der Stadt. Und einer nach dem anderen der abendländischen Offiziere fragte Oßman, was das zu bedeuten habe und jedem antwortete der edle Knecht: Der Malik dichtet –. Spät begab sich der Schwärmende in seinen Garten; die Melonen blühten schon und er dachte über sein Leben nach, das auch einmal süß schlummerte und dann sich gestaltete zu einem goldenen Ball, mit dem seine teuren Menschen spielen durften. Ein Geschenk war Er, das immer wieder dem Besitzer gestohlen wurde. Noch nie hatte ihn ein Geschöpf in sichere Obhut bringen können. So erklärte sich Jussuf Abigail die Untreue seiner Liebe. Über die zarten Gräser blickend, bemerkte Er wieder den Fremdling in Mönchtracht, der einige Tage nach der Ankunft der Ritter in seine Stadt Theben gekommen war. Manchmal sah er ihn mit Wetterscheid zusammen plaudern, dem Bruder des kleinen, strahlenden Rolands von Berlin. »Wer ist der schöne Pilger, verschlossene Himmel hinter schweren Lidern sind seine Augen.« »Der Kaiser von Mexiko, Majestät«, erklärte Wetterscheid bedeutungsvoll –.

Der Malik
[nach S. 80 (»Der Fakir«)]

Milïla, die Frau in Mannskleidern, schlich hinter den Kaiser auf ihren breiten Tatzen, der aber hatte schon von ihrer Anwesenheit [81] in Theben gehört und teilte nicht seines Knechtes Mißtrauen. »Was wünschst du von mir, Milli Millus aus Mareia?« redete der Malik die Rotverblüffte an, »willst du etwa meiner Häuptlinge siebenter werden, sonst hast du keinen Wunsch«, meinte Er scherzend! Daß sie eben nur dieser Wunsch Tag und Nacht beseele, ereiferte sich die Verkleidete, fiel vor den Basileus nieder, umschmeichelte sein Gewand und zeigte dem Kaiser die Bildnisse, die sie von Ihm in Marmorstein gehauen, und Jussuf Abigail in toller Geberlaune erhob die riesengroße Frau arglos zu seinem Häuptling.

Setzte ihn zwischen Mêmed Laurencis und Salomein, seinem liebsten Spielgefährten, damit er den Unvergleichlichen immer von seines Herzens Höhe aus auf gewohntem Gedankenpfade erreichen konnte als goldenes Amen.

Viele Freude bereitete es dem Malik, seinen abendländischen Gästen die Umgegenden Thebens zu zeigen, auch seine beiden anderen Städte besuchte Er mit den Rittern. Mareia-Ir, die sein Freund Daniel Jesus statthaltete, bewillkommnete die Ritter wie eine geschmückte Braut. Aber in Sahab-Ir waren wieder Unruhen ausgebrochen, die Väterrabbis suchten ihre Söhne nochmals von der Unzuläßlichkeit der Regierung ihres schwärmerisch verehrten Malik auf den Thron von Theben zu überführen. In Wahrheit fürchteten sie den starken Einfluß, den Abigail auf ihre Erstgeborenen ausübte. »Diese Hebräer möchten Mir so gern den Ring aus der Unterlippe reißen, um sie dann zu verriegeln. Ihr seht«, meinte Abigail zu seinen Begleitern, »daß selbst das Gebot erstarrt vor ihrer Engherzigkeit. Bin ich nicht der Leuchtkäfer, der spielende Sonnenfleck, der bunte Odem, der mutwillig über die Tafel des Gesetzes taumelt, es lebendig erhält.« Und Calmus erklärte den fragenden Fremdlingen etwas verlegen das Tragen von Geschmeide im Angesicht, das Verletzen des zartesten Fleisches gehöre zu den Verboten Mosi. »Gott erhalte unsern Malik und Prinzen« riefen die Häuptlinge und die Ritter, aber dann kam ein Heuschreckenschwarm, eine finstere Wolke, die Reisenden warfen sich auf ihre Leiber, in Tücher gehüllt. – Antipathisch hatte sich Abigail der wilde Jude noch nie gegen einen [82] der Stämme ausgesprochen wie hier gegen die alten achtbaren Väter seiner Goldstadt, die Ihm immer wieder durch ihn verleidet wurde.

Die kleine Karawane trabte einige Tage durch den Sand zurück auf Theben zu und die abendländischen Soldaten verstanden nun schon hoch von den Buckeln ihrer Tiere kleine arabische Wüstenlieder zu summen: Abbabâ ti taliât, abbabâ dufina abbabâ ta gâlam bey, naphta wa tahïre: Wolken hoch, wir fliegen mit euch, Wolken oben, wir fliegen frei heimwärts. – Abigail liebte die arabische Sprache, unbändig Vogellaute. – Zwi, der mit den Rittern von seinen Kamelen gestiegen war und sich an der Quelle einer kleinen Landschaft der Wüste erfrischte, erzählte ihnen, daß Abigail Jussuf oft mit seinem im Himmel weilenden Spielgefährten Sascha, dem Prinzen von Moskau, einsam dieses gelbe Meer durchzogen habe und oft seien die beiden Prinzen Hand in Hand durch die Straßen Thebens gegangen, in die Weinberge, und in diesen Zeiten hätte niemand außer ihnen lieben dürfen in der Stadt, daß durch die Abkühlung so vieler sehnenden Herzen das Wachsen der Blumen und Hecken und selbst das Brot auf dem Felde beeinträchtigt worden sei. – Es war am frühen Mittag und die Ritter wunderten sich, daß schon der Mond aufgegangen war, langsam und leise näher schwebte. Der Malik aber und seine Häuptlinge wußten, was das zu bedeuten habe und erklärten den Fremdlingen, daß es der Mondmann sei, ein Fakir, der verstoßene verarmte Bruder der Emirin von Afghanistan, den Jussuf in seinem Theben schon öfters besonders königlich aufgenommen hatte. Geschmäht am Hofe des Emirs flüchtete der seltsame Dudelsackpfeifer zum Malik, auch ließ er sich mit Vorliebe so gern einige Tage in der bunten Erde Tibas begraben. Und die Kinder der Stadt nannten ihn den Vater der Würmer. Das war ihm immer wie eine Kur gewesen, wenn er erfrischt aus dem Grabe auferstand und alle Unbill vergessen hatte, die ihm in der Heimat widerfahren war. Sein Körper leuchtete blutrot, er war aus Mondstoff erschaffen, schien durch die Menschen und konnte hellsehen. – Seine Mutter habe zu viel in den Mond geschaut. – [83] Er mußte jedem der Reisenden weissagen und da kam ans Licht, daß die Ritter sich mit dem Kaiser den Soldatenstreich erlaubt haben, sie nicht die waren aus den Sagen und Dichtungen, die Jussuf Abigail verehrte und die sie vorgaben zu sein. Aber der betrogene kaiserliche Gastgeber konnte nicht anders, als diese Anekdote für eine ihnen gelungene Schelmerei billigen und bat die Ritter, ihre Maskerade nicht abzulegen. Daß Tristan sein junges Leben im Kriege lassen müsse, bestätigte den Basileus in seiner Ahnung, aber auch Casper Hauser sollte daran glauben. Und immer wenn der Fakir eine neue Hand ergriff, ihre Hieroglyphen durchstrahlte, dudelte er herzzerreißend in seinen verschlissenen Dudelsack, dessen eigentümliche Melodie der Malik liebte. Ihm weissagte der dankbare Mondmann mit besonderer Sorgfalt und es schmerzte ihn, daß er seinem guten Beschützer heute nichts Glücklicheres sagen konnte: »Vor dem holden Zauberer in Pilgertracht deiner Karawane hüte deinen Nibelungen, Abigail, der trachtet, sein Bild zu spalten auf dem Spiegel deines blauen Herzens. Auch vertraue den Menschen deiner Stadt nicht verschwenderisch, sie werden von dir abfallen, aber dein Häuptling unersetzlicher wird sein Leben für dich lassen. Deine Augen sind eingefallen Abigail, mache dich auf, da dich um Ruben, deinen teuren Bruder bangt, der Stern in seiner Schläfe bleicht. Doch vergiß nicht, vorher auf dem Hügel Thebens die Paradiesbirke fällen zu lassen, eh’ ihre Blumen faulen. Abigail, Abigail, meine Nacht, mein Dach, der Herr lasse leuchten dein Angesicht über dich ...«

Am Tore des Palastes erwartete den Kaiser seine perlgegürtete Leibwache, auch die männliche Frau aus Mareia-Ir eilte dem nachsinnenden Jussuf schmeichelnd entgegen, bat, ihm behilflich sein zu dürfen beim Absteigen seines Kamels, aber das edle Tier stieß die bereitwillige Frau eifersüchtig mit seinen stolzen Wüstennüstern in die Seiten; unter ihren langen Damastbeinkleidern ahnte niemand runde Waden. Vor Abigail Jussufs Aberglauben zogen sich die Ritter pietätvoll in ihre Wohnungen zurück, aber der Kaiser, der Sich gerne von schweren Gedanken befreite, – Wasser sei Er, äußerte er Sich oft, das strömen müsse, [84] über finster Gestrüpp, aber auch über Muscheln, Seestern und Korallenbäume – ließ sich in froher Laune einige Abende nach dem Karawanenausflug in seiner Sänfte in das Stadthaus zu den Rittern tragen. Als er die ihm Liebgewordenen im Vorraum im betrunkenen Zustande erblickte, weinte er wirklich blutige Tränen, noch zumal er seinen kleinen Bruder Bulus auf dem Rücken Ismaëls, der wie ein Nashorn schnaubte, entdeckte, und zwischen den Ausgelassenen drei seiner jungen Häuptlinge. Der Mann in Pilgertracht aber, die mexikanische Majestät, versuchte unbeirrt, einen der Häuptlinge zu gewinnen, sich gegen den Malik zu erheben. Wie er später dem Kaiser liebenswürdig versicherte, nur deren Treue zu prüfen. Abigail aber sagte zu den Trinkenden, daß Weinvergießen unedler sei wie Blutvergießen, das wohl das Herz beschwere, aber selbst nicht vom Übermaß wie vom Genuß des Weines nur eine schwere Zunge hinterlasse, die kauderwelsch rede. Dem Kaiser von Mexiko gelang es aber immer wieder, den Jussuf für sich zu erobern, der sich dann zu Wetterscheid äußerte, sein Freund trage siegreich eine Fahne in der Hand; wie Bonaparte schön und glorreich sei und in seinem Malikherzen nach dem Feind suche. Und der Kaiser erwachte oft mit einem Todesschrei, daß Oßman die Häuptlinge an das Lager seines Träumenden holte. Lange stöhnte Jussuf, »der Nibelunge sei am Rande seines Herzens schlummernd tödlich getroffen worden«. Der aber stand in der Nähe Mareia-Irs, die friedliche Stadt für den Weltkrieg zu erobern. Daniel Jesus, ihr Statthalter, war im Begriff, ihm gewaffnet entgegenzuziehen. Am letzten Tag des grünenden Monats Gillre zogen die abendländischen Ritter, Jussuf geleitete sie, abschiednehmend durch die Straßen der trauernden Stadt Tiba und kamen an den singenden Säulen vorbei. Jeden einzelnen seiner hohen Gäste küßte und umarmte der Malik, erwiderte durch die Heimkehrenden die Grüße des Prinzen von Prag, des Tubutsch und des von Ihm mit dem Blutkalifenstern ausgezeichneten Richard dem Dichterfürsten, kehrte dann niedergeschlagen in den Palast zurück. Von ferne hörte er noch wehmütige Soldatenlieder. Nur Lederstrumpf [85] und sein Freund Wetterscheid waren versteckt in Tiba geblieben, wurden gefunden hinter einer gebärenden Kamelin, hinter jedem ihrer zwei Buckel verborgen saß einer der beiden Schelme. Das rührte Abigail Jussufs Herz mächtig und erhob die beiden Treuen zu Emire von Theben und den kleinen zweijährigen Sohn Wetterscheids, Tom Tom, verlobte er mit dem jüngsten Zwillingsprinzessinnenpaar der Stadt. Des Maliks Laune war es gewesen, den Kaiser von Mexiko neben sich auf dem Throne Thebens zu erheben. Aber der war der sündhaften pochende Rebe verfallen, und es geschah, als er sich einmal allein im Thronsaal mit Jussuf befand, er den gekrönten Stuhl bestieg, wie er dann drollig meinte, den Thron probierte, die goldenen Füße zu schwanken begannen. Der Malik erblich; eilte zu seinem frommen Priester Calmus Jezowa, reumütig, wie ein edler Rassehund und beichtete seinem freundlichen Herzen, das immer für den Kaiser offen lag. Als letzter im Zuge verließ der schöne Bonaparte die bunte Stadt, und die Häuptlinge litten große Besorgnis, wie der Abschied von den neuen Freunden ihrem geliebten kaiserlichen Spielgefährten bekommen würde. Klug und feinfühlig antwortete der Kaiser beherrscht: der Morgenländer sei mit festeren Fäden an seinem Herzen gewachsen, der Abschied jedes einzelnen Thebetaners würde ihn schmerzhafter zerrissen haben. Und schon in der Dämmerung tänzelte Abigail mit seinen zwei Spielgefährten Gad und Laurencis auf Irsahab zu im flatternden Tanzschritt und zarten herrlichen Gewändern, aber ausgerüstet mit langen Speeren, denn in seiner Goldstadt rügten wiederum die beißbärtigen Väter Jussuf Abigails unumschränkte Selbstherrlichkeit, aber sie erschraken heftig ihrer Dreißigtausend, als sie schon von ferne die Spitzen der Speere, die in Rinderblut getaucht waren, drohen sahen und sie verkrochen sich hinter ihren lachenden Söhnen vor dem wilden Judenkleeblatt. In der Wüste, als die Knaben von Irsahab unter der Führung Zwi ben Zwi Ihm bewillkommend entgegenzogen, versprach Jussuf ihnen, sie aus ihrer geistigen Gefangenschaft zu befreien und sie ließen sich gern in den Bisam einsperren, in den spitzen Turm von Irsahab. Von dort aus brachte er sie nach [86] Theben in die freiatmende Welt. Jussuf genoß seine Freude über den ihm gelungenen Streich, als Laurencis erregt in sein Gemach trat, dem Kaiser verkündete, daß Mareia-Irs Söhne, von Giselheer gezwungen, in den Weltkrieg gezogen seien; der nordische Fürst vor Theben stände vor Tiba, dem dasselbe Geschick bedrohe. Aber Abigail zweifelte an des Jünglings Bericht, erhob sich, und beide Fürsten schritten über die Plätze Thebens, vom Hügel vor dem Tore Gewißheit zu gewinnen. Und der Malik begrüßte heimlich die Anwesenheit des Feindes, denn Er liebte Giselheer, den furchtbaren Nibelungen, der Ihn zwingen wollte, in die Schlacht gegen die Indier des Weltkampfes den Bumerang zu werfen. Der Statthalter von Mareia-Ir, Daniel Jesus, widerlegte die Aussage Laurencis, indem er dem Malik wortgemäß berichtete, der Nibelunge habe im Interesse seines Herrschers das Ultimatum gestellt, daß entweder Abigail sich freiwillig auf seiten der Verbündeten Mächte begäbe oder Er gezwungen würde, die Untertanen seiner drei Städte Tiba, Mareia-Ir und Irsahab ohne Ihn, ihr Oberhaupt, herauszugeben. –

Ramsenid von Gibon, der Nachbar Mareia-Irs, kläffte wie eine feige Hündin die Wege seines Palastgartens entlang, ohne aber dem Vizemalik Daniel zur Hilfe zu eilen. Um Mitternacht schlich der schwarze Knecht des Maliks mit einem Brief in hebräischer Harfenschrift über die golddurchäderten Steinstufen des kaiserlichen Hauses und erreichte auf Händen und Füßen das Zelt des Fürsten. Jussuf saß vor seiner Bogenaussicht und zählte die ergrauenden Dolden der Paradiesesbirke. Sie zu fällen, war er nicht im Stande gewesen, in ihrer Krone lag die Seele aufbewahrt seiner über alles geliebten schönen Mutter, hätte er einen weißeren, weiteren Schoß gewußt für ihre Seligkeit, über den herrlichsten der Bäume wäre längst das Todesurteil verhängt worden. Abigail Jussuf war abergläubig und die Prophezeiungen des Mondmannes aus Afghanistan trübten seine klare Laune.

Der Malik
[87] [*]

Mit Entsetzen vernahm er, daß sein kleiner Bruder Bulus sich mit den Rittern in der Wüste vereint habe in Begleitung seines [89] jungen Freundes, des lieblichen Emirs Hyne Carolon, den Abigail besonders wegen seiner reinen Gesinnung liebte und mit Ehren auszeichnete. Doch die bunten Leben seiner Stadt waren vom Feind bedroht und er konnte persönlichem Kummer nicht nachhängen. Sein Haß gegen die wunderlose kalte Welt begann zu lohen, deren Hauptsünde die Nüchternheit war, der tote Fisch ihrer Herzen. Wie ein Kind jammerte Abigail nach dem Fakir, daß er ihm noch einmal weissage vor der Schlacht, die er zu schlagen beabsichtige mit dem Nibelungen. Nie war der Malik ungestählteren Glaubens in den Krieg gezogen wie diesmal und er schützte sein Herz und seine Schläfen mit Wundersternen. Oßman trug des Kaisers Schild mit der kaiserlichen Sichel. Zum erstenmal, daß er seinen mutigen Abigail zittern sah vor des Feindes Waffe. Manchmal rief er angstvoll seinem Oßman im Kampfe zu, ob er irgend an einer edlen Stelle des Körpers getroffen sei, er fühle Blut über seine Haut fließen. Nach dreitägiger Schlacht begab sich Jussuf, wie er es in allen vorangegangenen Schlachten zu tun pflegte, aus dem Kampfe, sich in den heraufsteigenden schwärmerischen Wolken seines Herzens zu verlieren. Er suchte einsame Pfade auf, die von Hecken umrahmt waren. Auf diesen Augenblick harrten die Feinde. Giselheer, der Nibelunge, der seine Zelte genau nach der morgenländischen Buntheit aufschlagen ließ, von der schlechten Ortskenntnis des Maliks unterrichtet war, lauerte auf die kaiserliche, fremde, kostbare Beute. Am Ring seiner Unterlippe zog der Nibelunge den unerhörten Fang in sein Zelt.

Aber in Theben feierte man den Malik mit Triumphguirlanden und Süßigkeiten, selbst die altbärtigen Irsahabaner schlossen sich zum erstenmal der Begeisterung der bunten Menschen an, schätzten des Maliks Weisheit, die des Barbaren Herz zum Rückzug bewogen haben müsse. Nur die wilden Juden lächelten um den liebenden Kaiser und er feierte im Rausche seines Herzens zu dem Einen Einzigen, eine seelische Hochzeit mit seinen sechs Häuptlingen Mordercheï, Calmus, Asser, Gad, Mêmed Laurencis und Salomein. Solches Liebesgeschehen, so unantastbar es sich [90] begab, rüttelte doch an dem Glauben der Leute Thebens, die jüngeren murrten aus heimlicher Eifersucht. So gerne hätte Abigail wieder die irsahabanischen Sündenböcke beschuldet an der Verdrossenheit seiner Thebetaner, deren Herzen Abigail so schwer entzündet hatte. Und noch ermüdet von dem Kampfe und dem holden Liebesvorabend im Zelte des Nibelungen, dem nachfolgenden hochzeitlichen Freundesfeste, wurde Abigail aufs neue aus seiner Rast erweckt durch die tobende Menge auf den Straßen und Plätzen Thebens. Männer und Frauen und Söhne und Töchter sammelten sich vor seinem Palast, zernagten das Rosenholz der Säulen mit ihren Zähnen und warfen Fackeln in die Vorräume. Die Häuptlinge, die in goldgestickten Prachtmänteln im anschließenden Gemach des Maliks zu ruhen pflegten in der Gestalt einer Pyramide oder seines Lieblingssternbilds, fielen aus ihren himmlischen Träumen. Calmus erhob sich als erster, das beleidigte Volk zu beruhigen, und nur Salomein blieb um Jussuf, der sein Kleid mit dem schlichten Rock des Ziegenknechts wechselte, mit struppigem Haar aus dem Seitenraum des bedrohten Kaiserhauses entkam, sich den wildgewordenen Menschen Thebens anschloß und sie wider den Malik aufhetzte.

... und seine wütenden Untertanen hoben den Ziegenknecht auf ihren Armen über die fluchende Menge, daß seine zündende Rede auch an allen Enden anbrenne. Niemand erkannte Jussuf Abigail, den Malik, im schlichten Kleide des Hirten, dem man nie so eine Wucht der Zunge zugetraut hätte. Aber Salomein saß im Mantel des Kaisers auf dem Thron, den Tod für seinen Spielgefährten erwartend, dessen übermütiger Plan es war, die Stadt von Aufrührern in seinen weiten Palast zu locken, Sich Selbst, den Kaiser, zur Verantwortung zu ziehen und die kleine Revolution in eine Festlichkeit endigen zu lassen. Er wußte aber nicht, daß es schon lange im Herzen Tibas glimmte, wenn man auch in der Stadt von dem Ereignis flüsterte, daß Abigail auf Zurede seines klugen Häuptlings und milden Priesters Calmus Jezowas den Wunsch des Muskatplantagenbesitzers Methusalem erfüllte und ihm vorgetanzt habe (allerdings mit verhülltem Angesicht), im [91] Interesse seines Volkes. Abigail hatte die wichtigsten Angelegenheiten der Stadt vernachlässigt. Seines Halbbruders Einspruch, der aber schon lange fern von Kana weilte, benötigte er. Die Stadtgelder waren für luxuriöse Dinge verschwendet worden; die Kinder wuchsen meist unwissend in seiner Hauptstadt Theben auf; die sonntäglichen Leute satt aller Süßigkeiten und Guirlande. Während des Aufruhrs kehrte Bulus, des Kaisers Bruder und sein Freund, der Mïr Carolon nach Tiba zurück und erschraken, vom lärmenden Wirrwarr der Stadt überrascht, der Feind sei unerwartet eingekehrt, schossen Pfeile ab in die Menge; Bulus traf den Ziegenhirten am Fuß, so daß man sorglich den verkleideten Kaiser auf eine Wiese bettete, die Wunden mit weichen Gräsern stopfte, und da die Leute im Bluttaumel die heimgekehrten Attentäter nicht erkannten, die sich in den Palast flüchteten, verfolgte die aufgebrachte Schar die beiden arglosen Ankömmlinge, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Im Thronraum, wo die empörten Menschen den Malik auf dem Thron vermuteten, erstachen sie Salomein, den Lieblingshäuptling des Maliks. Sein Blut rann über das Elfenbein des Gemachs und sang einen schwermütigen Psalm, der mit Grauen und Ehrfurcht die wildgewordenen Thebetaner erfüllte und aus den Gemächern vertrieb. Oßman holte den Ziegenhirten heimlich in den Palast auf seinem Arm zurück und beleckte seine Wunde, daß sie noch heilte in der Nacht. Und als der Malik von dem Tode seines Salomein erfuhr, stieg er aufs Dach seines Palastes, schrie mit den wilden Raben, die am Himmel in Scharen vorbeiflogen, so grenzenlos, daß jedes Haus in Theben in seiner starken Wurzel schwankte, wie beim Erdbeben, und tanzte den Trauertanz bis zum Morgen vor allem Volk, und keiner unter den stillgewordenen Menschen Thebens war, der nicht Erbarmen fühlte, reumütig mit ihrem gestraften Kaiser; waren sie doch alle nach seinem Angesicht geschnitten.

Der Malik
[92]

Auch wußte die Stadt schon von den heimkehrenden kaiserlichen Knaben, daß auch Ruben tot sei, gefallen des Maliks teurer Halbbruder, der blaue Reiter von Kana. Aber die Häuptlinge beschlossen, vereint mit den Thebetanern, dem erschöpften Kaiser [92] diese neue furchtbare Kunde vorzuenthalten. Der bemerkte am Gurt seines kleinen heimgekehrten Bruders sein silbernes Bildnis, das Ruben als Talisman in den Krieg ziehend, sich um den Hals legte. Auch das Leid in den schönen Zügen seines kleinen so ernst gewordenen Bulus, das sein Antinousgesicht vertiefte, erweckte in ihm unertrüglichen Verdacht. Allabendlich mußte ihm Oßman den Bulus holen mit seinem Freunde. Des kleinen, anmutigen Mïrs Carolon liebreiche Stimme beruhigte den Malik. An einem Morgen zogen die sieben wilden Juden in langen Trauergewändern barfuß über den Sand der Wüste nach Jericho; dort stand der Tempel Jehovas, noch vom Erzvater gebaut aus Moosrinden, Muscheln und frommem Blatt. Als die Leute in Jericho erfuhren, daß die trauernden Pilger die Häuptlinge des Maliks von Tiba waren und Er Sich Selbst unter ihnen befand, [93] brachten sie dem Sanftabwehrenden die Kleinodien ihrer Stadt und nur Milli Millus, die Frau in Mannestracht, bereicherte sich an den dargebrachten Gaben, und Abigail teilte zum ersten Male das Mißtrauen seines schwarzen Dieners, der schon längere Zeit zu kränkeln begann und seinen Kaiser auf der Wallfahrt des Gebets für seinen teuern Halbbruder nicht begleiten konnte. Auch mißfiel dem Malik, wie der ihnen zugewachsene Häuptling, dem er zum ersten Male die Ehre erwies, sich mit ihm und seinen Häuptlingen gemeinsam zu zeigen, sich um Mordercheï drängte, um seine Gunst warb, und zumal ihn dann einmal Abigail hinter einem Ölbaum auf seinen mächtigen Häuptling Theodorio einreden hörte, der schlaue Millus das schlechte Einvernehmen Theodos und Bulus in Betracht zog, und den erschrockenen Riesen verführen wollte, »den jungen Thronerben dem thebetanischen Volke zu entwerten«, um sich das bunte Erbe zu vergewissern. Aber ihre Rede wirkte so verfault auf Mordercheï wie die ranzig gewordenen Früchte des verwelkenden Ölbaums und mit Abscheu wandte er sich von dem ungetreuen Häuptling, was Jussuf tief und stolz berührte, und seine Verehrung und sein Vertrauen wuchsen für den edlen Fürsten vom Augenblick bis zur Sonne. Der eitle Wunsch Millis, nach Abigails Tode das Weib Mordercheïs, Thebens Kaiserin, zu werden, blieb ihr unerfüllter Ehrgeiz. – Mareia, Rubens Weib, erwartete Jussuf im Palaste in Tiba. Jeden Morgen sangen die Kinder der Jussufstadt kleine süße Lieder vor ihrem Balkone. In liebreicher Verschwisterung wandelten der Malik und seines Halbbruders Weib über die Wege des Palastgartens, die Knospen der Rosen brachen klingend auf, wenn Mareia und Jussuf Hand in Hand nebeneinander saßen und von ihrem blauem Reiter sprachen. Die Prophezeiungen des Mondmannes erfüllten sich unaufhaltbar. Der goldlockige Tristan und Caspar Hauser, zwei von den Rittern, die der Malik zögernd scheiden sah, waren nun auch die Opfer des Krieges geworden, schrieb der Herzog von Leipzig seinem morgenländischen Spielgefährten, doch am Schluß seines schwarzumrandeten Briefes kündigte er seine nahe Ankunft an. Sein liebenswürdiges Wesen [94] brachte immer Freude in den Palast, und der war nicht wenig enttäuscht, als in einem zweiten Schreiben er bedauerte, seinen verantwortlichen Platz im Westen nicht verlassen zu können, selbst für seinen Lieblingsspielgefährten, den Prinzen von Theben nicht. Niemand mehr in der Welt erfreute sich eines unumstößlicheren Vertrauens des Maliks, als der zu diesem Freund gefaßt hatte. Das wußte der Herzog und es beglückte und verpflichtete ihn, doch Laurencis Mêmed war es wieder, der die Treue des charmanten Fürsten in den Augen des Kaisers zu mindern versuchte. Aber Abigail entzog diesem Häuptling, der ihm nichts Besseres berichten konnte, sein Vertrauen. Wandte sich dem philosophierenden Gad zu und unterhielt sich nun mit ihm fast täglich über die Welt und den himmlischen König; er dachte sich Gott in vielerlei Gestalt, die immer wieder auf Erden wandle. »Mein Bruder, der blaue Reiter, war Gott, wer ist es nun?« fragte er einmal Gad. Aber mit Kümmernissen bemerkten die Häuptlinge, daß der Kaiser das Lächeln verlernt habe, die Rose auf seiner Wange nicht mehr blühe. Sie überlegten, wie sie ihren teuren Spielgefährten beglücken könnten, verabredeten Zusammenkünfte verschwiegen in den Festräumen des Palastes. Aber Oßman entdeckte die kleine freudige Geselligkeit, im Begriff, einen hochzeitlichen Brief an Giselheer, den Nibelungen, richtend.

Sitti,

vieledler Fürst der Nibelungen.

Wir kaiserlichen Häuptlinge, die wilden Juden um Abigail Jussuf, dem Malik, und Prinzen von Tiba, erlauben Sich, Sich Ihnen, Sitti, in ehrerbietigster festlicher Laune und holder Feier mit einem delikaten Antrag zu nähern, dessen Annahme dem thebetanischen Hofe willkommen sein würde, Sorge tragend um das Herz ihres kaiserlichen Spielgefährten und mächtigen Kaisers Jussuf Abigails der drei Städte Tiba, Mareia-Ir und Irsahab und versichern Sie, Sitti, in gleicher vertrauenswürdiger Weise Ihre Erwiderung zu ehren, wie wir Unser an Sie gerichtetes goldenes Obliegen von Ihnen, Sitti, geachtet hoffen. Wir [95] Häuptlinge um die Majestät des Maliks von Theben bieten Ihnen in aller Form die Mitherrschaft des thebetanischen Thrones an und hoffen, mit dieser eigenmächtigen Liebeshandlung den beschämenden Schmerz einer abschlägigen Antwort dem Kaiser zu ersparen. Indem wir Ihnen, Sitti, den thebetanischen Thron anbieten, entsagen wir dem langersehnten Wunsche, den Herzog von Leipzig als Mitregent zu gewinnen, aber wir hoffen, mit diesem Liebesschritte das Glück unseres teuren kaiserlichen Spielgefährten zu besiegeln. Wir übersenden Ihnen unsere freundschaftlichen Gefühle, Sitti.

Mordercheï Theodorio, Calmus Jezowa, Gad,

Asser, Mêmed Laurencis, Salomein †.

Der schwarze Knecht, der in seiner Hingebung von der Heimlichkeit der Zusammenkunft der wilden Juden, deren Ursache er nicht nachspürte, für seinen Malik betroffen war, hinterbrachte die Untreue seiner Spielgefährten dem schwer beleidigten Abigail. Schon als kleiner Knabe, erzählte mal seine Mutter, traf ihren kleinen Spieljussuf am tiefsten jedes Fernbleiben vom Spiel. Er, der bis zum Lebensende sich nicht zu beherrschen pflegte, seine Panther ungezähmt springen ließ, verabreichte mit Mühe nur noch bei öffentlichen Fragen zum Wohl seiner Menschen und seiner Stadt den Häuptlingen eine zureichende Höflichkeit. In seinem blauem Herzen bohrte eine finstere Höhle. Daß Oßman den Briefwechsel zwischen dem Malik und dem Nibelungenfürsten vermittelte, blieb ein Geheimnis zwischen Kaiser und Knecht. Aber täglich zerriß eine Glaubensfalte des Maliks, ihn befremdete das geflügelte Herz Giselheers mit seiner gezügelten Liebe, das sich vor willenloses, süßes Überströmen standhaft bewahrte. Und Mêmed Laurencis, der aus eitler Eifersucht jede Regung Jussufs bewachte, sich nicht enthalten konnte, wieder einmal den Kaiser zu wecken, daß Er doch zu schade für das Spielzeug, betonte er nachdrücklich, eines Ariers sei und Er nicht vollernst von dem Fürsten schließlich genommen würde ...?

Aber sich dennoch bereit erklärte, auf seinem schnellen Araber [96] dem nordischen Fürsten das Hochzeitsschreiben zu überbringen; und wie er dann versicherte, von Krämpfen in der Wüste überfallen worden zu sein und das anvertraute Gut ihm jäh vom aufsteigenden Sturmwind entrissen wurde. Da Laurencis in heftiges Weinen ausbrach, glaubten ihm die brüderlichen Emire. Aber der Malik, dem man von dem unbestellten Antrag und seinem Boten flüsterte, richtete seinen Zorn nun ganz besonders gegen den mit Auszeichnung verwöhnten Spielgefährten, dessen Herz seine Gaben nicht königlich zu tragen verstand. Nun war es zu spät, wie es der Traurige selbst am besten wußte durch den abschiednehmenden Brief seines heißgeliebten Gisels, den Ihm Oßman heimlich wieder übermittelte. Verblüffend und ernüchternd wirkte auf den romantischen Jussuf die grüßende Unterschrift Edithas vom Sachsenlande. »Wohl anzunehmen, die hohe Braut des Nibelungen.« Und dennoch trug er das wankelmütige Schreiben auf seinem Herzen oder legte es gefalten, ein zehnfach veredeltes weißes Rosenblatt, zwischen seine Lippen. Und er dachte daran, wie einmal Asser zu ihm sagte, die Liebe des Abendlandes sei eine Tätigkeit und nicht wie hier des Herzens goldene Eigenschaft. In der Zeit ließ Zwi ben Zwi die Bilder entfernen, die an den Wänden der Häuser angebracht waren und die Menschen Thebens aufregten. (Einen arischen Habicht, dessen Kralle das spielerische Herz eines Tagars grausam zerriß.) Wie seine bunten Menschen doch unkindlich geworden waren! Am liebsten hätte er Mêmed Laurencis einem hungrigen Krokodil zur Speise vorgeworfen und es schützte den Verachtenden nur sein Häuptlingsrang. Auch war Abigail nicht in der Lage, nach seiner eigenen Bestimmung sich eines Häuptlings zu entledigen und so lebte der immer wieder aufs neue sich ereifernde Jüngling an seiner Seite. Mordercheï nahm sich des abgesetzten Spielgefährten beim Kaiser an, der aber lenkte das Gespräch auf Allgemeines; alles Wiederkäuende, meinte der Malik, sei ein Versäumen des Herzens, selbst die Schlacht, die länger wie die Tage der Woche dauere. Im Grunde feierte Jussuf Abigail immer nur Himmelfahrt; [97] diese Steigerung des Lebens schaltete alles Versäumen aus. Auch an Gad erlebte der Kaiser kleine Enttäuschungen, da er sich Belehrungen erlaubte dem Kaiser gegenüber; und Asser hatte sich in eine Prinzessin verliebt, die dem Kaiser keine Augenfreude bereitete. Nur Calmus, sein hoher Priester, war sich getreu geblieben, und der Malik erfreute sich an ihm und an dessen Weib, die Jussuf Blumen sammelte von alttestamentarischen Gräbern. Was seinen kleinen Bruder Bulus anbetraf, die Thebetaner fürchteten sein herbes Wort ebenso, wie sie seine holde Schönheit belauschten und seine vornehme Haltung heimlich bewunderten. Wenn Abigail nicht nach seinem Tode Neidlinge fürchtete, hätte er gerne den beiden jungen Freunden, seinem Bruder Bulus und Hyne Carolon, gemeinsam den Thron Thebens hinterlassen. Der weiche besondere Einfluß des lieben Knaben auf seinen jungen Nachfolger empfand der Kaiser jedesmal wieder in den Morgenstunden, wenn er mit den beiden Freunden zu plaudern pflegte. »Mein Herz mußte zu viele Lasten tragen; oft bin ich böse den Menschen, da sie mir nicht Zeit ließen zu spielen mit des Feldes Beeren und goldenen Zitronen und Palmenfrüchten und den bunten Blumen der Wiesen; vor allem mit des Strandes Muscheln, all den lebendigen Spielsachen in dem weiten Haus der Welt.« Die Verlobung mit der Prinzessin von Hohenhof, der Tochter der hohen Fraue von Westfalen, löste Bulus hinterrücks auf Raten Lederstrumpfs, der mit der Schönheit des kaiserlichen Thronerben Kultus trieb, und den alles Gesicht beleidigte neben seiner Goldwange.

Der Malik
[99]

Der Malik, der gegen äußere Dinge täglich apathischer wurde, saß meist einsam hinter verhüllten Balkonen in der Zeit, wie er sagte, der blaue Reiter, sein Halbbruder, in fremder Erde schlafe. Seiner Schläfe Stern war nun geborsten. Manchmal begab sich Abigail mit seinem angstvoll nachschleichenden Oßman tief ins Gewölbe der Stadt, das Grabmal Saschas, des Prinzen von Moskau, zu schmücken. An einem Oßmanstag, da der schwarze Knecht die Krone in seinem ergrauten Haar trug, stieg Jussuf auf den Birkenhügel, der traurigste Mensch in Theben. In ihren [98] Zweigen schlummerte die Seele der Königin mit den goldenen Flügeln, darum Er den holden Baum nicht fällen wollte. So nannten die Ägypter die angebetete Mutter Jussufs. In den Stamm des Baumes schnitt er ein blaues Herz und unter ihm seine geliebte Stadt Tiba. Und wanderte und schlief auf einer Wiese ein und träumte, es wäre eine abendländische Dichterin in einem kleinen Kämmerlein hoch in einem Turme und spiele mit dem Mond und seinen Sternen Zickzack. Erwachte und kam am Abend heim, ermüdet die Hand auf einen Hirtenstab gestützt. Wer dem Trauervollen begegnete, glaubte, er sei eine Flügelgestalt. Nach dieser Seelenwanderung fühlte sich Jussuf fremd seinen nächsten Menschen gegenüber. Er grollte seinen Häuptlingen, die sich hinter seinem Rücken, wie er allabendlich vermutete, zum Spiele trafen. Und Oßman, der seine Aussage schon tief bereute, vertraute sich Zwi ben Zwi, dem Tagebuchschreiber des Maliks an, zumal Jussuf Ungeheueres im Herzen gegen seine wilden Juden plante. Die aber schützten sich vor dem Vorhaben ihres Jussuf, bahrten ihre Prachtmäntel ohne ihre Körper wie allabendlich beim Schlafengehen in Form des Lieblingssternbildes im Nebengemache des Kaisers auf, sie aber verbargen sich hinter den Säulen des Vorraums, den mißtrauischen Kaiser zu beobachten, dem sie die große Reue einer unüberlegten Tat zu ersparen wünschten. Sie kannten sein weiches Herz. Um Mitternacht vernahmen sie Jussufs nicht allzu leise und vorsichtige Schritte nahen und betrachteten gerührt im Zwielicht ihres Gemaches seine Knabengestalt. Milli Millus, die Frau in Häuptlingskleidern, empfand ein unwiderstehliches Mitleid mit dem hilflosen Kaiser, wurde aber von den gespannten Häuptlingen verhindert, sich dem schmerzbewegten geliebten Feind zu nähern. Neugierde und Pietät lähmte die fürstlichen Spielgefährten, ihren Streich zu enthüllen. Wenn sie auch große Lust verspürten, ihren Malik wie ein Kind zu umarmen, ihn eines Besseren zu belehren, ihre Liebe und Treue ihm zu versichern; waren doch seine Lippen Nachtigallen, die schlugen das süße todbringende Lied. Da nun Abigail Jussuf das Schweigen seiner Häuptlinge für die Folge ihrer Schuld ansah und den festen [101] Entschluß seines Planes nicht mehr entrücken konnte, stieß ahnungslos in den Brokat den Dolch, hohl in den toten Mantel Milli Millus; vernahm die bewegten Schreie seiner Freunde, aber Er war einer Stufe, die nicht vorhanden, entgleitet, dumpf fuhr es Ihm durch die Eingeweide, und entriß die Wurzel Seines Blutes. Und in übermächtiger Scham über diese Fallgrube beleidigt, erhängte sich der schon seit langer Zeit schwermütige Kaiser noch in selbiger unglückseligen Stunde .... Von der Binse knüpfte ihn Oßman klagend ab. Des armen Maliks Wangen bluteten und seine Füße waren rot gefärbt. Der schwarze Knecht, der gestern noch Kaiser von Theben war, trug seinen geliebten Abigail Jussuf auf dienenden Armen in den Palast und er verendete dann im Schoße seines Oheims Ismaël. Die Fahnen zerrissen an den goldenen Stangen zwischen den Zinnen des Palastdaches, und alle Tore sprangen auf im Kaiserhause und allen Wohnungen Thebens und die Trauerkunde eilte von Tiba nach Mareia, von Mareia-Ir nach Sahab-Ir, an die Höfe aller ägyptischen Könige. Die Venus von Siam bewegte sich zum ersten Male goldfüßig aus der heiligen Nische ihres Tempels und weinte in ihren langen Traumhaaren. Ihres Kaisers Tiefsinn schob sie des Nibelungen kühlem Zauber zu und ihr rätselhafter Eidechsenkopf sann nach Rache. Wetterscheid und Lederstrumpf, die als Emire in Theben ansässig geworden waren, fluchten den Häuptlingen, die um Jussuf so schlechte Wache hielten. Mordercheï anklagte Calmus Jezowa, aber Calmus Jezowa verzieh Theodorio, Asser bezichtigte Gad und Gad höhnte Laurencis, der hochmütig auf die Frau in Manneskleidern blickte. Die zog betroffen in ihre Heimat, Mareia-Ir zurück. Aber alle Menschen der drei Malikstädte, verwaiste Geschwister, umkränzten den Palast, ihre Gesichter legten sich zur Seite im Abendwinde. Dreihundert Zebaothknaben folgten mit ihren Bambusflöten im Trauerzuge den Häuptlingen, die Jussuf einbalsamiert, umhüllt in Schleiern, durch die lieblichen Straßen Thebens über den Dromedarplatz am Zitronenwald vorbei auf ihren Schultern trugen. Zwischen den Zebaothgespielen beweinten Bulus, des Kaisers Bruder, und sein [102] Freund Carolon ihren älteren Spielgefährten. Dann nahten die Jehovaniter in ehrwürdigen Priestergewändern, ihnen schlossen sich die Viehzüchter der drei Städte an, die roten und gelben Adames; und Kinder, die auf Trommeln schlugen, lauter Jussufs Lieblingswirbel, die der Herzog von Leipzig zärtlich belächelte, der aus dem Schrecken der Schlacht im Flugzeug, doch nicht mehr seinen Prinzen unter den Lebenden erreichte. Den letzten Wunsch Abigail Jussufs, des Liebenden, erfüllten die Häuptlinge noch am Tage seiner ewigen Ruhe; sie und die bunten Menschen der Jussufstadt erhoben des Maliks teuren jungen Bruder auf den goldenen Thron Thebens:

Bulus Andromeid Alcibiad der Schöne.

Der Malik
[102 (»Bulus I von Theben«)]

ANMERKUNG

[87] גיזלהֶר׃ // אני בן־המלך מתיבן שולח לך את / המכתב הזה אשר נפקד מאתי / ונכתב בכתב־הכנורים הנעלה של / עירי העברית עיר־זהב׃ // והנני משיב לך את עצם הגלגלת / אשר בימים עברו כבשתה למעני / במלחמה׃ // אדום יפגע בך החסד כאשר נתן / לי לנשום עוד׃ // יבוא־נא דמי עליך׃ // (צבי בן יהודה) • hebr.: Giselheer. / Ich der Königssohn von Theben schicke dir / diesen Brief der mir abhanden gekommen / und in der erhabenen Harfenschrift geschrieben / meiner hebräischen Stadt Irsahav (Goldstadt). // Und ich gebe dir den Schädelknochen zurück / den du in vergangenen Tagen für mich erobert hast / im Krieg. // Rot wird dich treffen die Gnade wie sie (es) / mich noch atmen ließ. // Möge mein Blut über dich kommen. // (Zwi Ben Jehuda) [Übersetzung von Itta Shedletzky].