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[48] Else Lasker-Schüler an Emil Raas

Zürich, Samstag, 19. Januar 1935

Aktualisiert: 14. Juni 2025

* * *

Emil Raas
[1]

[1][2]

19. 1. 35.

Mill

oder Mill Raas. Beides nett und mexikanisch. Ein Gutes also hab ich an Mill Raas getan. Aber verzeihen Sie dass ich mit der Maschine schreibe, da meine Hände übermüdet von der Arbeit, da ich viel dichtete auch über Jerusalem. Für Gott nicht für all die Menschen – doch für einige. Herr Doktor der frömmste einer und darum toleranteste Rabbuni und Oberprimaner der Sternenteologie gab Ihnen diesen Brief. Gerade weil er ein gentleman ist ist die Übergabe von ihm dieses Briefes total ungefährlisch. Er weiss nur dass ich Sie für den feinsten Menschen in Bern beschrieb und hat keine Ahnung von dem erst himmelblauen dann schmerzlichlauen Briefwechsel zwischen uns. Ich riet dem wundervollem Doktor sogar sich von Ihnen Bern zeigen zu lassen. Ob Zeit oder nicht. Das Gericht bleibt da er nicht. Ich wollte Ihnen mit dem Brief auch beweisen, dass ich nie Ihre Briefe irgend Jemand zeigte noch je gezeigt habe und indem ich sie Ihnen wiedersandte auch niemand zeigen mehr gekonnt hätte. Das war Ihre schwere Angst. Ich weiss! Meine Briefe zeigen Sie nur – ich habe gesprochen! Und was ich gesprochen habe ist nicht umzubringen noch zu verleugnen. Merkwürdigerweise bin ich schon als Kind sehr discret gewesen. Ich weiss dass ich einmal die Schuld auf mich nahm eine Kind nicht zu verraten. Ich glaub ich bin ganz fein im kühlen Grunde und auch im schwarzen Wallfisch zu Ascalon da geht ein Mühlenrad. Ich hab mich aber getröstet, als ich erkundigen mich tat, erfuhr am Einwohneramte, ich bin geboren vor Goethe und weiss mir keinen Rat. Meine noch Mausezähne die waren bisjetzt mein Staat die führten mich aber irre ob grad, ob auch nicht grad. Am Brunnen vor dem Tore – wirklich es ist zu schad ..... Ich mache eben Gedichte die anderen spielen Skat. Ich hörte mal eine Geschichte, ich setzte sie um in Tat. Und dachte nicht viel doch wenig bis ich mir nit wusste Rat. Verhungert, zerrissen, malade, einsam auf herbstlichen Pfad, hetzte man noch die Hunde auf mich die ich nichts erbat. [2] So gut reimen kann man nicht wenn man nicht weiss wie Neuschnee ist. Sie gönnten mir noch nicht einmal die Freude mich über Ihr schönes Bestehen des Examens zu freuen. Glauben Sie nur nicht ja, dass ich etwa glaubte, dass Sie einen Tropfen dabei an mich gedacht haben und ich fand das herrliche Opfer das Ihr Fleiss brachte Ihrem Papa ebenso rührend wie wundervoll. Man muss nicht mit Freude geizen und wer sich nicht loben kann kann auch nicht andere loben. Ich dear Mill, bin nicht berechnet Ich habe doch selbst damals das nette Geschenk wiedergesandt. Die rote Glasnelke. Und ich bin doch kein klein Bürgermädchen. Ich wollte dass Sie den Brief sicher bekommen, darum gab ich ihn dem Doktor. Seid ohne Besorgniss ich werde nie etwas tun, das Si--------- comprometiert. Ich bin darüber erhaben. Es war sicher blamierend mit so einer Bendeldichterin wie es E. L. Sch. ist zu correspondieren. Auch konnte sie sich was einbilden, ja einreden. »Ach ach so ein armes Geschöpf!! so e richtig schweizerisch Höhengedanke. Bauern denken so was nie. Sind gesund wie ihre wundervollen Ochsen. Nonsens dagegen Gedichte. Krank Gedichte Psychoanaliese oder Gretee muss untersuchen im Stall. Es sprühen die Wangen es stürmt der Schnee. Ich weiss ein grün Häuschen mit einer Fee, hei!!!!!! a popeia, was raschelt im Stroh – es sind die Entlein und alle sind froh. Das Bild behalt ich.

Emil Bernard war früher Professor für Jura Universität: Bonn am Rhein.

Ich bitte Sie, über meine überstandene Misère nicht zu sprechen. Eigentlich schreib ich darum.

Anmerkungen

Quelle: The National Library of Israel, Jerusalem, Emil Raas Collection (Arc. 4* 1821 01 14). Druck: Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe. Kritische Ausgabe. Im Auftrag des Franz Rosenzweig-Zentrums der Hebräischen Universität Jerusalem, der Bergischen Universität Wuppertal und des Deutschen Literaturarchivs Marbach am Neckar hg. von Andreas B. Kilcher [ab Bd. 9], Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky. Bd. 9: Briefe. 1933–1936, bearbeitet von Karl Jürgen Skrodzki, Frankfurt am Main: Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, 2008, S. 196–198.

viel dichtete auch über Jerusalem»Das Hebräerland«, das im Frühjahr 1937 bei Emil Oprecht in Zürich erschien. Das Buch ist illustriert mit acht Zeichnungen und einem Frontispiz von Else Lasker-Schüler, das Frontispiz ist in der Vorzugsausgabe handkoloriert. Ursprünglich hatte Else Lasker-Schüler gehofft, »Das Hebräerland« zusammen mit einer Neuausgabe ihrer früheren Werke im Berliner Schocken Verlag zu veröffentlichen, und Martin Buber am 6. Januar 1935 gebeten, sich mit Salman Schocken in Verbindung zu setzen (vgl. Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe […]. Bd. 9 […], S. 192 f.). Der Plan scheiterte, weil es nicht gestattet war, Devisen in die Schweiz zu senden (s. [Brief 68]). Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit Schocken suchte Else Lasker-Schüler auch den Kontakt zum Querido Verlag in Amsterdam sowie zu den beiden Schweizer Verlegern Max Rascher und Eugen Rentsch. Am 7. Februar 1936 (vgl. Else Lasker-Schüler, Werke und Briefe […]. Bd. 9 […], S. 301 [an Ludwig Binswanger, 8. Februar 1936]) schickte sie das Manuskript zunächst an den Querido Verlag, am 13. April 1936 (s. [Brief 91]) kam Emil Oprecht nach Ascona und ließ sich von Else Lasker-Schüler aus dem Manuskript vorlesen. Mitte Juni 1936 (s. [Brief 115]) nahm er dann »Das Hebräerland« zum Druck an. Ende November und Anfang Dezember lieferte Else Lasker-Schüler schließlich die Druckvorlage beim Verlag ab. – Herr Doktor • Martin Littmann. – Rabbuni • Mit der Anrede »Rabbuni« wird an einigen Stellen des Neuen Testaments Jesus angesprochen. Vgl. Markus 10,51; Johannes 20,16. Else Lasker-Schüler gebraucht die Bezeichnung »Rabbuni« häufig für Rabbiner. – im kühlen Grunde • Vgl. zu [Brief 34]. – im schwarzen Wallfisch zu Ascalon • Die erste Strophe des Lieds Nr. 708 (»Altassyrisch«) im »Allgemeinen Deutschen Kommersbuch« lautet (zitiert nach der 55.–58. Aufl. Lahr: Moritz Schauenburg [um 1895]): »Im schwarzen Walfisch zu Askalon, da trank ein Mann drei Tag, bis daß er steif wie ein Besenstiel am Marmortische lag.« Text: Joseph Victor von Scheffel (1854), gesungen nach einer Volksweise. – Am Brunnen vor dem Tore • »Am Brunnen vor dem Tore« lautet der erste Vers des Lieds »Der Lindenbaum« aus Franz Schuberts Zyklus »Die Winterreise« nach Gedichten von Wilhelm Müller (1794–1827). – schönes Bestehen des Examens • Vgl. zu [Brief 38] (»die wunderbaren Worte«). – Ihrem Papa • Siehe [Brief 40]. – hei!!!!!! a popeia, was raschelt im Stroh • »Eia popeia, was raschelt im Stroh«: beliebtes Kinderlied. – Emil Bernard • Emil Moses Cohn (Pseudonym: Emil Bernhard[-Cohn]) hatte 1907/08 in Kiel Jura studiert, in Bonn war er 1914–1926 Rabbiner gewesen.